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Dornige Hoffnung. Szene aus Reidemeisters neuem Werk. Elfmal hat die Dokumentaristin das Land bereist.

© Basis Film

Helga Reidemeister und ihr Film "Splitter Afghanistan": Trümmerspiele im Herzensland

Streiten, lieben, hoffen: Helga Reidemeister wird 75 und stellt heute ihren Dokumentarfilm „Splitter Afghanistan“ vor.

Eine Werkschau ab Anfang Februar. Die aufwendige Restauration eines frühen Films. Und dann die große Premiere ihrer jüngsten Arbeit „Splitter Afghanistan“ am Sonntag samt dem dazugehörigen Berg an Presseverpflichtungen: Die leicht exzessiven offiziellen Aktivitäten zum 75. Geburtstag der Regisseurin Helga Reidemeister hatten schon im Vorfeld auch bei der zu Ehrenden selbst ihren Tribut im Energiehaushalt gefordert. So sagte die Filmemacherin vor zwei Tagen alle mit ihr verabredeten Termine kurzfristig ab, um Kräfte für den wichtigen Auftritt am Sonntagnachmittag in der Akademie der Künste zu sammeln. Als Journalistin kann man das nur einsehen. Und reist am besten zurück zu den noch höchst gegenwärtigen Erinnerungen an eine andere Begegnung vor den Dreharbeiten zu dem jetzt fertiggestellten Film.

2011 war das, da hatte Helga Reidemeister vom Frauenfilmfestival in Dortmund gerade einen Preis für ihr dokumentarisches Lebenswerk bekommen. Und sie steckte mitten in den Vorarbeiten zu dem noch namenlosen neuen Projekt. Genauer: In der zermürbendsten Phase, wo es heißt, im Bettelgang bei Redaktionen und Filmförderstellen Unterstützung einzuwerben. Einfacher wird diese Sache nicht, wenn man – wie Reidemeister – das dokumentarische Filmen emphatisch als zieloffene Suchbewegung versteht, zur Förderung aber möglichst schon ein detailliertes Drehbuch einreichen soll. Dazu kommt ein Zeitgeist, der früher wie heute Gefälliges fürs TV präferiert.

Als Kind spielte sie in Halle in Trümmern

So war ihr Groll groß, als man ihr damals die Mittel zur Fortführung ihres mit viel Leidenschaft betriebenen Afghanistan-Projekts vorschnell wegen mangelndem „Wohlfühlfaktor“ versagt: Ein Begriff, bei dem es einer Kämpferinnenseele wie ihr nur grausen kann. Da kam das großzügige Preisgeld aus Dortmund gerade recht, um auf eigene Faust die Tickets nach Kabul zu buchen. Doch dort hatten sich die Verhältnisse seit dem letzten Besuch krass verändert – und statt der gewohnten Anerkennung schlugen dem deutschen Filmteam Feindseligkeiten entgegen, die den Dreh extrem erschwerten.

Über drei Jahre und ungezählt viele Stunden im Schneideraum später ist „Splitter Afghanistan“ trotzdem fertig und verweist schon im Titel auf die erzwungene fragmentarische Form. Doch die Splitter sind auch ganz konkret präsent: Als Fragmente der von den Taliban zerstörten uralten Kulturschätze, die Kunsthistoriker im Nationalmuseum per Hand zusammensetzen. Als Minen und Bomben, deren Opfer im Orthopädischen Zentrum von Alberto Cairo in Kabul mit Prothesen und Zuwendung versorgt werden. Und dann ist da auch die eigene Erinnerung der am 4. Februar 1940 in Halle geborenen Filmemacherin an die Reste geschmolzener Granaten, mit denen sie als Kind in den Trümmern spielte.

Kämpferin. Dokumentaristin Helga Reidemeister.
Kämpferin. Dokumentaristin Helga Reidemeister.

© Promo/Stephanie Kulbach

Vielleicht bohren sich einige dieser Splitter auch in unsere Herzen. Denn Reidemeister, die über die Sozialarbeit zum Dokumentarfilm fand, hatte das Filmemachen immer auch als gesellschaftlichen Auftrag verstanden. Dabei schrieb sie sich schon mit dem aus einem Sozialprojekt im Märkischen Viertel entstandenen DFFB-Abschlussfilm „Von wegen ,Schicksal‘“ (1978/79) in die deutsche Dokumentarfilmgeschichte ein. Das Porträt einer Arbeiterin, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, stand bald im Fokus heftiger Debatten linker und feministischer Filmkritik und zeigte früh, dass sich die streitbare Regisseurin der Anpassung an die Anstandsregeln der Szene widersetzte.

Afghanistan ist ihre Leidenschaft

Voyeurismus wurde ihr vorgeworfen, weil der Film Heldin Irene Rakowitz angeblich in hässlichen Streitszenen mit ihren Kindern entblößte. Dabei hatte diese selbst am Drehbuch mitgearbeitet und genau diese offene Schärfe der Darstellung gewollt. Eher bizarre Anekdote ist ein ungewöhnlicher Fall von Zensur, bei der für die Fernsehausstrahlung als „Kleines Fernsehspiel“ der von Irene auf ihren Ex-Gatten gemünzte Ausdruck „faschistischer Schweinehund“ von unmotiviertem Türgeklapper überlagert wurde. Das Störmanöver scheint heute absurd, die ungeschönte Wahrhaftigkeit des Films in Reality-TV-Zeiten aber fast noch bemerkenswerter als damals. Ende Januar kommt er in einer neu restaurierten unzensierten Kopie im Arsenal auf die Leinwand.

„Aufrecht gehen“ (so der Titel eines Dutschke-Porträts 1988) und Widerstand gegen niederdrückende Verhältnisse waren in den folgenden Jahrzehnten das prägende Thema von Reidemeisters oft porträtierenden Arbeiten. Seit Ende der 80er hat sie dabei regelmäßig mit dem Kameramann Lars Barthel gearbeitet, der auch die Leidenschaft für Afghanistan mit ihr teilt. Das Land und seine Menschen faszinieren sie seit Herbst 2001, als Bushs Anti-Terror-Feldzug eine neue Runde der Gewalt in der kriegszermürbten Region einleitete. Seitdem prägt sie tiefe Verbundenheit mit den gebeutelten Afghanen und ihrem trotzigen Lebensmut, die sie auch aus der eigenen Kriegskind-Prägung erklärt.

„Ich kann gar nicht mehr anderswo drehen“, sagte sie auch noch zehn Jahre später. Insgesamt elfmal waren sie und ihr kleines Team seit den Dreharbeiten für „Texas Kabul“ Anfang des Jahrtausends im Hindukusch. 2009 entstand dann als zweiter Teil der Afghanistan-Trilogie mit „Mein Herz sieht die Welt schwarz“ eine dokumentarische Romeo-und-Julia-Geschichte um die unerlaubte Liebe zwischen einem Ex-Kämpfer und einer verheirateten Frau: Eine Liebesgeschichte, aber auch wieder das Thema vom aufrechten Gang. Jetzt folgt mit den „Splittern“ der letzte Teil des Dreiklangs, der mit dem Untertitel „Wie kann ich Frieden denken“ ungewöhnlich persönliche Töne anschlägt und seit den Dreharbeiten noch traurig an Aktualität gewonnen hat. Dabei ist offen, wie es in der gestörten Liebesbeziehung zwischen der Regisseurin und ihrem Herzensland weitergeht. Doch groß ist die Hoffnung nicht. Wie heißt es am Ende des Films?: „Wir fliegen zurück aus einem Land, in dem der Krieg weitergeht. Wie lange noch?“

Filmpremiere: 18.1., 16 Uhr, Akademie der Künste Hanseatenweg mit anschließendem Filmgespräch mit Helga Reidemeister und Kameramann Lars Barthel; regulärer Kinostart: 22.1., Fsk Kino Kreuzberg.

Weitere Veranstaltungen: 26. 1., 19 Uhr, Kino Arsenal im Filmhaus am Potsdamer Platz, digital restaurierte unzensierte Fassung von "Von wegen 'Schicksal" (1979) mit einer Einführung zum historischen Hintergrund von Klaus Kreimeier; 1.2. bis 29.3. jeweils sonntags 15.30 Uhr, Bundesplatz-Kino, Werkschau mit neun Filmen in Zusammenarbeit von Basis-Film Verleih und Deutsche Kinemathek.

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