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Kultur: Hellers Hausaltar

Michael Braun besucht eine PoetikVorlesung in Tübingen Wenn André Heller, die wirkungsmächtigste kulturelle Ich-AG Österreichs, zur Selbstinszenierung antritt, räkeln sich auch skeptische Geister bereitwillig in seinen „Sehnsuchtslabyrinthen“. Die Sogwirkung, die der zirzensische Schönheits-Schamane auch heute noch auf das große Publikum ausübt, hat nun auch die ehrwürdige Institution der Tübinger Poetik-Dozentur durcheinander gewirbelt.

Michael Braun besucht

eine PoetikVorlesung in Tübingen

Wenn André Heller, die wirkungsmächtigste kulturelle Ich-AG Österreichs, zur Selbstinszenierung antritt, räkeln sich auch skeptische Geister bereitwillig in seinen „Sehnsuchtslabyrinthen“. Die Sogwirkung, die der zirzensische Schönheits-Schamane auch heute noch auf das große Publikum ausübt, hat nun auch die ehrwürdige Institution der Tübinger Poetik-Dozentur durcheinander gewirbelt. Die profane Reflexion über Dichtung gehört bekanntlich nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen des Meisters. Wer sich selbst die Lizenz zur „ästhetischen Erziehung des Menschen“ auf Lebenszeit erteilt hat, ist zu Höherem berufen.

Der Literaturprofessor Jürgen Wertheimer, Erfinder und guter Geist der Tübinger Poetik-Dozentur, hatte Heller aber nicht nur als „Dozenten“ akquiriert, sondern in vorauseilendem Gehorsam auch alle substanziellen Unterschiede zwischen einer Poetik-Dozentur und einem klassischen Talkshow-Format geschleift. Hellers Unlust, in einem Vortrag über die ästhetischen Voraussetzungen und Maximen seiner Arbeit nachzudenken, verstand Wertheimer als Aufforderung zur kabarettistischen Interpretation der Moderatorenrolle. Als gehe es darum, dem Poetik-Diskurs die Reflexionsschwere zu nehmen, versuchte Wertheimer die Selbstinszenierung Hellers noch an Pfauenhaftigkeit und Koketterie zu überbieten. Die devoten Stichworte des Moderators griff Heller dankbar auf, um in schriller Anekdotik seine Biografie als prachtvolles Gesamtkunstwerk auszubreiten. Und die ist selbstredend so abenteuerlich, bunt und dissidentisch, dass sie für mindestens hundert oppositionelle Dichterleben gereicht hätte.

Kaum eine Literaturberühmtheit, von der er als junger Mann nicht den Ritterschlag erhalten hätte. Schon als Sechzehnjähriger wurde der junge André in Wiener Kaffeehäusern in den Adel des Geistes erhoben. Ein Wink von Hilde Spiel, ein Kopfnicken Heimito von Doderers genügten, um dem Musenjüngling das Plazet für die großen Aufgaben der Zukunft zu erteilen. Diese hat er denn auch mit der gebotenen Unbescheidenheit in Angriff genommen. Bereits das erste Artefakt des genialischen jungen Mannes war die Exhibition des eigenen Ego, das er 1972 in einem Film für das österreichische Fernsehen ausstellte: „Wer war André Heller?“ In immer aufwändigeren Zurüstungen für die eigene Unsterblichkeit plünderte Heller danach alle erdenkbaren Genres, um schließlich als Neu-Erfinder der Zirkus-, Garten- und Feuerwerks-Kunst in die Geschichte einzugehen. Sein herrschsüchtiger Vater, ein Schokoladenfabrikant, der vom Judentum zum Katholizismus konvertierte, hatte für den jungen André eine Priesterlaufbahn vorgesehen. Der Achtjährige wurde gezwungen, an einem eigens installierten Hausaltar Messen zu lesen. Der Religion entlaufen, ist Heller später zu den Ersatzverzauberungen der Kunst übergesiedelt. Nun nimmt er in der Event-Industrie jene Priester-Rolle ein, die ihm einst sein Vater auferlegte. Auch in Tübingen wurde ihm dafür ein Hausaltar aus Begeisterung errichtet.

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