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Der Komponist Helmut Lachenmann, geboren am 27.11.1935.

© dpa

Helmut Lachenmann zum 80. Geburtstag: Am Apparat kratzen

Hellhöriger Kritiker der schönen Weltflucht: Dem Komponisten Helmut Lachenmann zum 80.

Venedig sehen – und sterben wollen. Bei den Darmstädter Ferienkursen hatte der junge Helmut Lachenmann Luigi Nono kennengelernt und beschlossen, dessen erster Schüler zu werden. Er ging nach Venedig, wo Nono mit der Tochter Schönbergs lebte, und wurde mit Noten aller Art zur Analyse überhäuft. Dazu kamen serielle Übungen, deren Sinn Lachenmann überhaupt nicht verstand. In der Lagunenstadt versank der 1935 in Stuttgart geborene Pfarrerssohn in Lähmung, Krise, Verzweiflung. Und tauchte wieder auf als einer, der gelernt hat durchzuhalten, auch gegen die eigenen Zweifel.

Was haben seine Werke an Ablehnung provoziert, an Widerstand unter Musikern ebenso wie unter Zuhörern. Dabei geht es Lachenmann nicht um akustische Schockwellen, sondern um Sensibilisierung. Er entdeckt die Schönheit in der Verweigerung der Gewohnheit. Für den Komponisten heißt das, entschlossen gegen den überkommenen „ästhetischen Apparat“ vorzugehen, der unsere gemeinsamen Wertevorstellungen und Tabus umfasst – und damit auch dem Komponisten vorgibt, mit was er arbeiten kann.

"Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" wurde zum modernen Klassiker

Dafür muss auch verschwinden, woran wir hängen. Das schmerzte zum Beispiel das Publikum der Uraufführung von „Accanto – Musik für einen Soloklarinettisten und Orchester“ 1976, in deren Verlauf von Tonband minimale Klangsplitter aus Mozarts Klarinettenkonzert eingespielt wurden. Der geliebte Wunschkonzerthit wurde quasi in einen Geräuschzustand überführt. Der Saal tobte, das Konzert stand vor dem Abbruch. Einen „zerstörerischen Umgang mit dem, was man liebt, um sich dessen Wahrheit zu bewahren“, nennt es der Komponist.

Geräusche sind es, die Lachenmanns Musik ausmachen. Er selbst nennt sie „musique concrète instrumentale“. Radikal zeigt sich sein Klangmaterial in einem Stück wie „Pression für einen Cellisten“ von 1969/70. Das traditionelle Klangspektrum des Streichinstruments wird dabei ausgeblendet, die Klänge entstehen an Korpus, Saitenhalter, Steg und Bogen.

Als 1997 sein Musiktheater „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Hamburgischen Staatsoper herauskommen soll, begehrt das Orchester auf gegen Lachenmanns Seufzen, Jammern, Wispern, das jeden Operngestus vermeidet. Dirigent Lothar Zagrosek bekniet die Musiker, sich auf das Abenteuer der Wahrnehmung einzulassen. Mit Erfolg: Alle Aufführungen sind ausverkauft, ein moderner Klassiker ist geboren. Und verschafft einem Komponisten Anerkennung, der ohne intellektuelle Barrieren dazu einlädt, hellhörig zu werden.

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