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Lebensfroh. Ernest Hemingway auf einer undatierten Aufnahme.

© dpa

Hemingways Paris: Wir sind immer dorthin zurückgekehrt

Zum 50. Todestag von Ernest Hemingway erscheinen seine Erinnerungen an Paris neu. Nachhaltige Lektürefreuden beschert die Kraft vieler Sätze, ihre stilisierte Kargheit und Schlichtheit, für die Hemingway berühmt geworden ist.

Gerade mal zwei Monate ist Ernest Hemingway 1922 in Paris, als er in einem Artikel für den kanadischen „Toronto Star Weekly“ über die in Paris lebenden Amerikaner herzieht: „Man hat Greenwich Village in New York abgeschäumt und das Dickste löffelweise in Paris abgesetzt, in der Gegend des Café Rotonde“, so beginnt der 22-Jährige, um sogleich weiterzulästern: „Es ist eine sonderbare Bande, die die Tische der Rotonde besetzt, und sie führt sich sonderbar auf. Sie haben alle so hart um Nonchalance und wirklich individuelle Aufmachung gerungen, daß sie die Exzentrizität zu einer Art Uniform gemacht haben. (...) Sie können hier alles nur mögliche treffen, nur keine wirklichen Künstler. In Paris leben die glaubhaften, die arbeitenden Künstler für sich und scheren sich nicht um die Brut in der Rotonde.“

Zu den arbeitenden Künstlern zählt Hemingway sich selbst. Die nächsten fünf Jahre wird Paris zu seinem Lebensmittelpunkt, zu dem Ort, an dem er vom jungen Journalisten zu einem wahrhaftigen Schriftsteller reift. In die Pariser Zeit fallen die Veröffentlichung seiner ersten Kurzgeschichten „Oben in Michigan“ und „Mein Alter“, der ersten Erzählsammlung „In unserer Zeit“ und die seines Debütromans „Fiesta“. So hat es etwas Zwingendes, dass Hemingway sich über dreißig Jahre später, im Sommer 1957, da er von schweren Depressionen geplagt wird, beginnt, ein Erinnerungsbuch über Paris zu schreiben. Motiviert auch dadurch, dass er kurz zuvor bei einer Reise in die französische Hauptstadt zwei von ihm 1928 im Hotel Ritz deponierte Koffer wiederbekommen hat, mit Manuskripten aus eben jener Zeit, darunter viele Skizzen über mit ihm bekannte Schriftsteller wie etwa Ford Madox Ford oder Ernest Walsh.

Hemingway hat dieses Erinnerungsbuch nie fertiggestellt. Er arbeitete bis kurz vor seinem Selbstmord am 2. Juli 1961 daran, es fehlten aber eine Einführung, ein Schlusskapitel, ein Titel. 1964 veröffentlichte seine vierte Frau Mary das Buch unter dem Titel „A Moveable Feast“ (in der deutschen Übersetzung „Paris – ein Fest fürs Leben“), nachdem sie einige Änderungen am Entwurf vorgenommen sowie ein Vorwort aus Manuskriptfragmenten zusammengesetzt hatte. Nun aber, zu Hemingways 50. Todestag, gibt es die 2009 in den USA erschienene „Urfassung“ dieser Erinnerungen auch auf Deutsch; die Neuausgabe, so schreibt es Herausgeber und Hemingway-Enkel Sean, präsentiere „den Text zum ersten Mal dem Originalmanuskript folgend, wie Hemingway es bei seinem Tod hinterlassen hat.“ Das gesampelte Vorwort wurde gestrichen, auch die von Mary Hemingway nach Gutdünken vorgenomme Reihenfolge der einzelnen Kapitel und Szenen folgt wieder der Anordnung des Urhebers. Zehn weitere Kapitel, die Hemingway nicht für vollendet hielt, sind als „zusätzliche Pariser Skizzen“ angefügt, mitsamt einigen Fragmenten. Von denen singt das letzte noch einmal das hohe Lied auf Paris: „Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war.“

Genau diese immerwährende Rückkehr schafft der alte, berühmte, zwar zu Nobelpreisehren gekommene, aber mit Schreibkrisen kämpfende und dem Tode nahe Schriftsteller mit seinen Erinnerungen. Der alte Mann und die Jugend: Hemingway erzählt von seinen Pariser Begegnungen, seinen Aufenthalten in Österreich, wie er Schriftsteller wird, wie glücklich er mit seiner ersten Frau Hadley verheiratet ist , wie er zwischen Cafés, Rennbahnen, dem Salon von Gertrude Stein und der Buchhandlung von Sylvia Beach verkehrt. Oder wie er mit Scott F. Fitzgerald einmal eine merkwürdige Autofahrt von Lyon nach Paris unternimmt, ein Glanzstück dieses Buches. Dabei kommen die Reflexionen des Alten seiner Feier des jugendlichen Lebens selten in die Quere. Nicht einmal, als er den Mythos der nach dem Erscheinen von „Fiesta“ ewig an in ihm haftenden, von Gertrude Stein geprägten Formulierung „Lost Generation“ auseinandernimmt und erklärt, „dass alle Generationen immer irgendetwas Verlorenes hatten und haben würden“. Was er aber so aufschreibt, als hätte er damals schon das Gerede darüber „zum Teufel“ gewünscht.

Erst in den unvollendeten Skizzen wird Hemingway auch poetologisch und legt dar, dass er schon damals „nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung“ schöpfte, „sondern auch aus den Erfahrungen und dem Wissen meiner Freunde und all der Menschen, (...) die keine Schriftsteller waren“. Oder er gibt sich die Schuld an der Scheidung von Hadley, nachdem er sich mit deren Freundin Pauline Pfeiffer, die seine zweite Ehefrau werden sollte, eingelassen hatte: „Dass die junge Frau ihre Freundin hinterging, war schrecklich, aber es war mein Fehler und meine Blindheit, dass mich das nicht abstieß.“ Mary Hemingway montierte seinerzeit das Kapitel über den Ehebruch an das Ende ihrer Edition, was laut Sean Hemingway nie im Sinn seines Großvaters war, „da er seine Ehe mit Pauline als einen Anfang betrachtete.“

Als Leser stören solche Unterscheidungen kaum. Dieses sowieso aus so vielen unterschiedlichen Erinnerungsskizzen bestehende Buch lebt nicht von seiner Dramaturgie. Nachhaltige Lektürefreuden beschert vielmehr die Kraft vieler Sätze, ihre stilisierte Kargheit und Schlichtheit, für die Hemingway berühmt geworden ist und die er sich hier noch einmal abgerungen hat. Zuweilen streift er in seiner betonten Naivität ganz leicht den Kitsch, gerade wenn es um die Liebe, das Eheglück, das Glück der Arbeit und einfache Lebensfreuden geht und er nicht seine Kollegen und ihre Macken mitunter boshaft porträtiert. Auch der häufige Wechsel zwischen erster und zweiter Person erschließt sich nicht immer, zumal sich die zweite Person gerade auf Deutsch nicht immer schön liest: „Du richtestet ein Basislager ein“, „das Holz, das du verheiztest“. Doch zeigt gerade auch dieser Perspektivwechsel, dass hier ein erfahrener Schriftsteller höchst kunstvoll den Zauber der Jugend einzufangen versucht. Was ihm so gut gelungen ist, dass man dem Buch sein Alter nicht anmerkt.

Ernest Hemingway: Paris, ein Fest fürs Leben. Die Urfassung. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 316 Seiten., 19, 95 €.

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