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Henning Mankell: Schwacher Mann ganz stark

Das Alter, die Arbeit, der Alzheimer: Henning Mankell lässt seinen Kommissar Wallander ein allerletztes Mal einen Fall klären. Eigentlich war es längst aus mit Kurt Wallander. 2003 erschien „Vor dem Frost“, der letzte Roman um den Kommissar aus Ystad in Schonen.

Dann folgte der Ausverkauf der vermutlich erfolgreichsten Figur des zeitgenössischen skandinavischen Thrillers. Autor Henning Mankell lieferte die Ideen für knapp dreißig Folgen der deutsch-schwedischen Fernsehserie „Mankells Wallander“ und schrieb die Drehbücher zu den BBC-Adaptionen der Krimis. Mit einem „neuen Wallander“ hatte niemand mehr gerechnet.

Jetzt erscheint er trotzdem. Er heißt „Der Feind im Schatten“, die deutsche Übersetzung liegt ab morgen in den Buchhandlungen.

Das ist die gute Nachricht.

Es gibt auch eine schlechte Nachricht. Doch dazu später.

Kurt Wallander ist älter geworden, sechzig, um genau zu sein. Er hat sich ein Haus auf dem Land gekauft, „auf einem sanft ansteigenden Hügel mit Blick aufs Meer“. Außerdem hat er sich einen Labrador zugelegt. Als ihm seine Tochter Linda eröffnet, dass er Großvater werden wird, sieht es ganz so aus, als ob er sich an den Gedanken gewöhnen könnte, demnächst pensioniert zu werden.

Dann kommt der nächste Fall. Es geht um Lindas zukünftigen Schwiegervater, Håkan von Enke, einen ehemaligen U-Boot-Kommandanten. Der Korvettenkapitän a. D. erzählt Wallander von einem seltsamen Ereignis aus seiner Zeit beim Militär. Anfang der achtziger Jahre waren fremde U-Boote in schwedische Hoheitsgewässer eingedrungen, ein Vorfall, der später vertuscht worden ist. Kurz nach diesem Gespräch verschwindet Håkan von Enke spurlos, dann wird seine Frau tot aufgefunden. Wallander beginnt Nachforschungen anzustellen und erfährt, dass der ehemalige Korvettenkapitän einem Spion auf der Spur war, der den russischen Geheimdienst jahrzehntelang mit Informationen versorgt hat.

Henning Mankell hat eine Schwäche für den politischen Thriller. In „Die weiße Löwin“ (deutsch 1998) ließ er Wallander auf einen Agenten des südafrikanischen Geheimdienstes treffen, in „Der Mann, der lächelte“ (deutsch 2001) ging es um Waffenhandel und internationale Wirtschaftskriminalität. Das Besondere waren allerdings nie die lückenlos recherchierten und gut gebauten Hintergrundgeschichten, sondern die brüchige Figur des Protagonisten. Kurt Wallander ist kein Held, er ist nicht einmal ein besonders guter Polizist. Er stellt Fragen und sammelt Antworten, unsystematisch und ohne sich mit Kollegen abzusprechen, und manchmal kommt er seinem Ziel über Wochen hinweg kein Stück näher. Nicht einmal auf seine Intuition kann er sich verlassen. Auch im Fall Håkan von Enke gelangt er wie so oft nicht über das Gefühl hinaus, „etwas nicht zu sehen“, das er „längst hätte entdecken sollen“.

Henning Mankell hat so in den neunziger Jahren den Prototyp eines postheroischen Ermittlers geschaffen – und das literarische Porträt eines „schwachen Mannes“ gezeichnet. Während der Polizist Wallander seine Selbstzweifel pflegt, steckt er privat in einer Dauerkrise, die sich über alle Romane erstreckt. Er bringt eine Scheidung hinter sich, er scheitert als Vater, und er bekämpft ein Burn-out-Syndrom mit One-Night-Stands und Alkohol, bis er in einer schweren Depression versinkt. „Ein Mann mit großem Selbstmitleid“, lautet jetzt das Fazit Wallanders in einer schlaflosen Nacht: „Eine durch und durch lächerliche Person.“

Die neunziger Jahre sind vorbei. Der Boom des skandinavischen und insbesondere des schwedischen Krimis hält an, aber die männlichen Protagonisten sind ausgetauscht worden. Neben den Leitwölfen in Arne Dahls A-Gruppe oder Stieg Larssons testosterongesättigten Bestsellern macht Mankells trauriger und leicht übergewichtiger Kommissar keine gute Figur. „Der Feind im Schatten“ ist darum ein Abgesang geworden. Die Suche nach Håkan von Enke und dem geheimnisvollen russischen Spion führt Wallander in die Vergangenheit, und während er sich bemüht, ein vertracktes Rätsel aus der Zeit des Kalten Kriegs zu lösen, blickt er wehmütig zurück auf sein Leben: auf die Fälle, an denen er gearbeitet hat, auf Freunde, die er verloren hat, auf seine Kindheit.

Kurt Wallander ist nicht nur ein bisschen älter geworden. Er ist alt geworden. Beim Rasieren glaubt er im Spiegel das Gesicht seines Vaters zu erkennen, die Blutzuckerwerte werden schlechter, und dann sind da diese Gedächtnislücken: Er vergisst den Herd auszustellen, er lässt seine Dienstwaffe in einem Lokal liegen, er sitzt in einem Zug und weiß nicht mehr, wohin er fährt. Den Besuch beim Arzt schiebt er immer wieder heraus, wie jedes Mal, wenn es ernst ist. Man ahnt bereits, dass der Feind, der da draußen „im Schatten“ auf ihn wartet, kein russischer Spion ist, sondern etwas anderes, viel Bedrohlicheres. Recht schnell fällt dann auch das böse Wort „Alzheimer“. Es steht nicht gut um den Kommissar.

Das ist die schlechte Nachricht. Henning Mankell hat sie sich bis zum Schluss aufgespart, kurz bevor er seinen Protagonisten „langsam im Dunkel verschwinden“ lässt: „Die Erzählung von Kurt Wallander geht unwiderruflich zu Ende.“ Mit so viel Pathos ist in der Geschichte der Kriminalliteratur lange keine Figur mehr verabschiedet worden. Das heißt aber nichts. Arthur Conan Doyle hatte Sherlock Holmes 1893 in einem Wasserfall ertrinken lassen und kam damit nicht durch. Der Druck der Leser war so groß, dass er den Detektiv auferstehen lassen musste.

Henning Mankell: Der Feind im Schatten. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Zsolnay, Wien 2010. 589 S., 26 €

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