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© dpa

Herbie Hancock: Grenzgänger des Jazz

Nur wenige Jazzer haben die Grenzen zwischen Jazz und Pop so gelassen ignoriert wie Herbie Hancock. Er wird 70.

Von Jörg Wunder

Puristen könnten es als gerechte Strafe empfinden, dass Herbie Hancock, einer der erfolgreichsten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts, durch einen gesampelten Song-Schnipsel mehr Menschen erreicht hat als mit den zahllosen Aufnahmen seiner langjährigen Karriere. 1993 bediente sich die Jazz-Rap-Combo Us3 1993 für ihr „Cantaloop (Flip Fantasia)“ bei Hancocks „Cantaloupe Island“ und landete einen weltweiten Club-Hit. Die feine Ironie dürfte dem Stifter gefallen haben. Nur wenige Jazzer haben die Grenzen zwischen Jazz und Pop so gelassen ignoriert wie Herbie Hancock.

Geboren am 12. April 1940 in Chicago, trat Hancock schon mit elf gemeinsam mit dem Chicago Symphony Orchestra auf. Als Teenager zog es ihn zum Jazz, er eiferte dem populären Pianisten Oscar Peterson nach. In der Band des Trompeters Donald Byrd verdiente er sich erste Meriten, worauf ihm das Blue-Note-Label 1962 ein Debütalbum unter eigenem Namen ermöglichte: „Takin’ off“ enthält mit „Watermelon Man“ bereits eines seiner bekanntesten Stücke, aufgenommen in den Kanon hundertfach nachgespielter Standards. Kurze Zeit später wurde Hancock von Miles Davis in sein neu formiertes Quintett berufen – eine größere Ehre war kaum denkbar. Seine Solokarriere verfolgte er darum nicht minder beflissen: Mit „Maiden Voyage“ gelang ihm 1965 ein Album, das zu den Meisterwerken der Post-Bop-Ära gehört.

Ende der Sechziger beschäftigte sich Hancock mit den Klangmöglichkeiten des E-Pianos, was ihn vom orthodoxen Jazz entfremdete. Die von afrikanischer Polyphonie unterwanderten Aufnahmen seines Mwandishi Sextets mochten noch als avantgardistischer Jazz-Nebenarm durchgehen, „Head Hunters“ dagegen setzte 1973 auf eine Verschmelzung mit den rhythmischen Sensationen des Funk und der melodischen Anschmiegsamkeit des Soul. Das Kalkül ging auf, „Head Hunters“ wurde zur bis dahin erfolgreichsten Jazz-Platte und etablierte Hancock als Impulsgeber des Fusion Jazz.

Den Rest des Jahrzehnts fuhr Hancock zweigleisig, tastete sich weiter in Richtung Pop und Disco vor und gründete zugleich V. S. O. P., eine klassizistische Neuauflage des legendären Miles-Davis-Quintetts, bei der der scheue Superstar durch den Trompeter Freddie Hubbard ersetzt wurde. Mit „Rockit“, einem furiosen Instrumental mit Hip-Hop-Beats und kreischenden Synthesizern, setzte Hancock 1983 noch einmal eine innovative Landmarke. Seither ist sein Schaffen von der Gelassenheit desjenigen gekennzeichnet, der alles erreicht hat und sich alles erlauben kann. Und dabei immer noch überaus erfolgreich ist. 1986 bekommt er einen Oscar für die Filmmusik zu Bertrand Taverniers „Round Midnight“, und er erhält, als zweiter Jazzmusiker überhaupt, 2008 für „River: The Joni Letters“, seine eleganten Interpretationen der Songs von Joni Mitchell, einen Grammy für das beste Album eines Jahrgangs. Herbie Hancock, der seit 1968 mit der Deutschen Gudrun Meixner verheiratet ist, feiert heute seinen 70. Geburtstag.Jörg Wunder

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