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Kultur: Heroisches Schwarz

Das Pariser Musée d’Orsay konfrontiert Werke von Manet mit den bewunderten Vorbildern der spanischen Malerei

Nach Spanien zu reisen, war bis spät ins 19. Jahrhundert kein Vergnügen. Eduard Manet unterzog sich der Mühe im Jahr 1865, als er von seiner Pariser Heimat her den Komfort des Eisenbahnzeitalters bereits gewohnt war, im Süden aber die Rückständigkeit des iberischen Landes zu spüren bekam. Die Strapazen der Reise hielten den Maler nicht davon ab, nach seiner vorzeitigen Rückkehr geradezu hymnisch über die spanische Kunst zu sprechen – die des siglo de oro, des „Goldenen“ 17. Jahrhunderts eines Ribera (1591-1652), Zurbarán (1598-1664) und Velázquez (1599-1660).

Vor allem und immer wieder Velázquez: Ihn ernannte Manet (1832-1883) schlicht zum „größten Maler, der je gelebt hat“. Was ihn an Velázquez faszinierte, berührt sich natürlich mit den eigenen künstlerischen Vorstellungen. Es ist die unbedingte Wahrheitstreue, sowohl in der Auswahl der nicht nur „hohen“ Sujets als auch in deren Darstellung.

Velázquez erschien Manet und seinen Mitstreitern als Maler „des“ Lebens schlechthin, ungeschönt, ungeschminkt – und darum eben unakademisch. Das enorme Gewicht, das die französischen Malerrebellen, seit 1850, vor allem seit Courbet, aber bis einschließlich der Impressionisten auf die unmittelbare Wiedergabe der Lebenswirklichkeit legten, ist nur zu verstehen auf dem Hintergrund der das ganze Kunstleben dominierenden Académie des Beaux-Arts. und der den Markt regulierenden alljährlichen Ausstellungsinstitution des Salon.

Gegen den Salon etablierte sich die Gegenausstellung des Salon des Refusés, des Salons der Zurückgewiesenen, auf dem Manet bereits 1863 nicht weniger als fünf Gemälde à la manière espagnole, in „spanischer Manier“ zeigte. Manet war nicht der erste französische Künstler, der von der spanischen Malerei fasziniert war, seit sie durch die napoleonischen Raubzüge ab 1819 in Paris zunächst bruchstückhaft, ab 1838 in einer eigenen „Spanischen Galerie“ innerhalb des Louvre dann umso umfangreicher zu sehen war und alsbald auch Eingang in geschmacksbildende Privatsammlungen fand. Aber weit stärker als ähnlich gesinnte Kollegen wie Jean-François Millet oder Gustave Courbet nahm Manet sich spanische Werke zum Vorbild.

Von dieser höchst fruchtbaren Wahlverwandtschaft legt die Ausstellung „Manet – Velázquez. Die spanische Manier im 19. Jahrhundert“ beredtes Zeugnis ab, die das Pariser Musée d’Orsay als Höhepunkt seiner Herbstsaison ausrichtet. Gezeigt werden Beispiele der spanischen Malerei von Ribera bis zu Goya, der als Erneuerer der spanischen Kunst um 1800 enormen Einfluss auf die zwei Generationen jüngeren Nachfahren nördlich der Pyrenäen ausübte, und im Vergleich Werke von Manet und Zeitgenossen.

In Jusepe de Riberas „Klumpfuß“ von 1642 – seit 1849 in Paris – hatte Manet das Beispiel eines ungeschminkten Realismus des vermeimtlich Abstoßenden vor Augen, mit Francisco de Zurbaráns „Hl. Franziskus in Meditation“ – das er aus der „Spanischen Galerie“ kannte – das einer forcierten Hell-Dunkel-Malerei. In Diego Velázquez’ „Porträt des Komödianten Pablo de Valladolid“ aber fand Manet bei seinem Besuch im Prado ein Werk, das seinen eigenen Intentionen ganz und gar entsprach: eine durch einen diffusen, nur aus Farbe bestehenden Hintergrund isolierte Figur, schwarz gekleidet, aber von einem derart lebendigen Schwarz, dass es mit der Lebensfülle der dargestellten Person vollkommen harmoniert.

Manet wechselte häufig zwischen spanischen Themen – wie dem Porträt seines Modells Victorine Meurent, „Mlle. V... als Stierkämpferin“ von 1862 – und zeitgenössischen Sujets, wie dem „Absinthtrinker (oder Der Philosoph)“ von 1858/59, überarbeitet 1872. Die Konzentration auf die Figur und die bewusste Vernachlässigung des Hintergrundes gibt den dargestellten Personen ebenso Gewicht wie heroische Einsamkeit – und lässt zugleich Manets Meisterschaft in der Behandlung der „Nichtfarben“ von Braun bis Tiefschwarz hervortreten.

Wie stark sich daneben der Einfluss Goyas als eines Malers zeitgenössischer Ereignisse bemerkbar macht, belegt die zu ihrer Zeit so leidenschaftlich befehdete Darstellung der „Erschießung Kaiser Maximilians“ von 1867, von der die Pariser Ausstellung die in ihrer Roheit grandiose Erstfassung zeigt. Goyas Kriegsbilder von 1814 hatte Manet zwei Jahre zuvor im Prado bewundert. Ebenfalls auf Goya geht das berühmte Gemälde „Der Balkon“ von 1869 zurück, in dem Manet das Modell der (heute Goyas Umfeld zugeschriebenen) „Majas auf dem Balkon“ von 1808/12 in das Gesellschaftsporträt der zeitgenössischen Bourgeoisie überführt.

Gerade der „Balkon“ macht den Wandel der Sichtweisen zwischen den Spaniern und Manet deutlich. Während das 17. Jahrhundert den (auch künstlerischen) Eigenwert des Menschen jenseits der Standesunterschiede überhaupt erst entdeckt, sucht das 19. Jahrhundert die condition humaine unter der Maske der gesellschaftlichen Konvention. Spanien mit seinen Traditionen – zu denen der auch von Manet halb fasziniert, halb abgestoßen betrachtete Stierkampf zählt – lieferte ein Gegenbild zur Modernisierung in Frankreich und besonders Paris, die auch die Kunst ebenso revolutionierte wie grundsätzlich in Frage stellte.

Nicht einmal ein derart renommiertes Institut wie das Musée d’Orsay kann alle Belegstücke aufbieten, derer es für das ambitionierte Thema bedürfte. Manch zweitklassige Arbeit muss ersetzen, was der Madrider Prado aus guten Gründen nicht ausleihen konnte. Gleichwohl macht die Ausstellung anschaulich, wie sehr Manet – der meist auf den Vorläufer und Wegbegleiter der frühen Impressionisten verengt wird – in die Kunstgeschichte zurückging, um zu erreichen, was ihm Antrieb war: die Darstellung des Lebens und der Ereignisse seiner eigenen Zeit.

Paris, Musée d’Orsay, bis 7. Januar. Anschließend im New Yorker Metropolitan Museum, 24. Februar bis 8. Juni 2003. Der ausführliche Katalog (415 Seiten) kostet 45 €.

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