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Kultur: Herz der Finsternis

Frauke Eigen porträtiert Afghanistan nach dem Krieg. Jetzt zeigt die Kabuler Nationalgalerie ihre Fotos

Es kann passieren, dass man sich mit Frauke Eigen erst einmal über Flugzeuge unterhält. Über Transall-Maschinen, die dröhnend und schwerfällig von einem bosnischen Flugfeld abheben. Oder über eine Boeing der Bundeswehr-Flugbereitschaft, in der sie ein Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in den Balkan mitnahm. Schließlich auch über die fensterlose UN-Maschine, mit der sie zuletzt nach Afghanistan flog. Wie ein Raubvogel habe sich das Flugzeug seinen Weg nach Kabul gesucht und sei erst über der Stadt in die Tiefe gestoßen. Wenn Frauke Eigen unterwegs ist, muss sie nehmen, was sie kriegen kann. Meistens fliegen reguläre Fluggesellschaften die Orte nicht an, für die sie sich interessiert. Denn es sind Krisengebiete. Gekämpft wird dort zwar meistens nicht mehr. Doch zur Normalität haben diese Regionen noch lange nicht zurückgefunden. Es sind Übergangsgesellschaften, in denen die Gewalt hässliche Wunden und Trümmer hinterlassen hat. Aber auch die friedliche Melancholie der Erschöpfung.

Warum Frauke Eigen, eine 33-jährige, zierliche Frau, immer wieder in Kriegsgebiete fährt, ist ihr selbst ein Rätsel. Die Reisen berühren eine Seite ihres Wesens, über das sie nur ungern redet. Aber Reden liegt ihr ohnehin nicht. Die Berliner Fotografin spricht so leise, dass man sie kaum versteht. Ein eigenartiger Kontrast zu den tiefschwarzen, großformatigen Bildern, die Frauke Eigen im Schatten von Terror und Zerstörung aufnimmt: Eine junge Mutter blickt mit sorgenvoller Miene zu ihrem kranken Kind, das von Ärzten untersucht wird; auf die Schulter einer anderen Frau ist der Kopf eines schlafenden Kindes gesunken; am Ufer eines Flusses lacht ein Junge in die Kamera, frierend, während er dem Wasser entsteigt. Der Krieg kommt in diesen Fotos nicht vor. Trotzdem ist ihnen eine dunkle Macht eigen, die in den Hautporen, Kopftüchern und Gewändern der Personen wie eine schwarze, erkaltete Lavakruste weiter existiert.

Wenn dieser Tage in Kabul die afghanische Nationalgalerie als renovierter Prachtbau eröffnet wird, dann sind es diese Bilder, die erstmals an den neu verputzten Wänden hängen. Seit 1996 die Taliban ins Stadtzentrum einrückten, war das Gebäude in einem jämmerlichen Zustand. Ein afghanischer Arzt und Hobbymaler hatte in Windeseile viele Gemälde der Sammlung mit Aquarellfarben übermalt, um sie vor der Zerstörung zu retten. Denn die religiösen Eiferer vernichteten jedes Bild im Land, auf dem Menschen oder Tiere abgebildet waren. Der Koran verbietet solche Darstellungen. Nach der Vertreibung der Taliban bot sich ein schauerliches Bild: Das ehemalige großbürgerliche Wohnhaus sei „übel demoliert“ gewesen, erklärt Renate Elsässer vom Goethe-Institut. „Die Taliban haben die Wände aufgerissen, um die Kupferdrähte aus den elektrischen Leitungen zu verwenden.“

Renate Elsässer war auf Frauke Eigen aufmerksam geworden, als diese im vergangenen Sommer mehrere Wochen für das Technische Hilfswerk (THW) vor Ort weilte, um Aufbauprojekte der deutschen Hilfsorganisation zu dokumentieren; nebenbei nutzte Eigen jede Gelegenheit für ihre eindringlichen Porträt- und Landschaftsstudien. Den 27 Werke umfassenden Zyklus will Eigen der Nationalgalerie als Schenkung überlassen – er könnte den Grundstock für eine Sammlung legen, wie sie ein Museum dieser Art auch auszeichnet.

Von der Reportage trennt die Fotokünstlerin, dass sie nicht Lebensumstände festhält, sondern die Menschen aus ihrem Umfeld „herauslöst“. Sie sucht etwas anderes, als kulturelle Identitäten und soziale Kontraste. In Afghanistan interessierte sie sich nicht für die Kalaschnikow-Krieger, Isaf-Soldaten oder NGO-Helfer, auch nicht für die zahllosen Ruinen, die 25 Jahre Bürgerkrieg angehäuft haben („ein gigantischer Schrottplatz der Geschichte“). Stattdessen hat sie Frauen und Kinder fotografiert oder einen kargen Hügelzug, was nicht einfach ist in einem Land, in dem vorbehaltlos irgendwo hinzugehen und zu beobachten vollkommen unüblich ist. Vor allem, wenn man Europäer ist. Und eine Frau. Und allein. „Ich habe nie ein Gespür dafür entwickeln können, wie gefährlich eine Situation war“, gesteht Eigen. „Wo immer man auftaucht, stehen Menschen um einen herum und starren einen an.“

In Vorbereitung auf die Reise las sie Berichte von Frauen aus Afghanistan. Alle hatten dasselbe Coverfoto: eine Verschleierte, deren Züge hinter vergitterten Sehschlitzen verborgen blieben. Tatsächlich tragen auch nach dem Fall des Taliban-Regimes 95 Prozent der Frauen in der Öffentlichkeit die Burkha. „Aber es ist ein Trugschluss zu meinen, dass darunter nur verhuschte Gestalten stecken“, meint Eigen.

Frauenporträts sind ihr ein vertrautes Sujet. Wobei sie bei früheren Anlässen, in den Flüchtlingslagern von Mazedonien und den Dörfern des Kosovo, die Frauen bat, ihre Augen zu schließen. Sie, die alles verloren hatten und nun in einer provisorischen Zeltstadt einer ungewissen Zukunft harrten, sie sollten sich nicht auch noch preisgeben müssen. In Afghanistan war das nicht möglich. Hier wollten die Frauen den Blick von der Fremden und ihrem unhandlichen Apparat (einer Hasselblatt-Kamera) partout nicht lassen. Sie wollten ihr zugucken. „Ich nehme mir nichts, was mir andere nicht geben wollen. Man hat mich sofort in Obhut genommen und beschenkt.“

Aufsehen erregte die zurückhaltende Künstlerin, die mit Wolfgang Tillmans studiert hat und von der Berliner Galerie Camera Work vertreten wird, schon früh. Mit einem Zyklus eindrucksvoll-schockierender Aufnahmen aus einem Schlachthof („Gretchens Hochzeitstag“). Im letzten Jahr veröffentlichte sie dann „Fundstücke Kosovo“, eine Sammlung von Fotos, die Gegenstände aus einem Massengrab zeigen, eine zersplitterte Taschenuhr, zerfetzte, blutverklebte Hemden und T-Shirts. Es sind Zeugnisse eines Grauens, das oft – wie ein ausgewaschener Pass bezeugt – namenlos bleibt.

Auch diesmal wollte sie wieder das Herz der Finsternis finden. Sie ging ins Kabuler Fußballstadion, das unter der Taliban-Herrschaft zur Hinrichtungsstätte geworden war. Aber sie konnte das Grauen nicht entdecken. Auf dem staubigen Platz, auf dem noch Monate zuvor Frauen vor den Augen der Menge exekutiert worden waren, weil sie sich ohne männlichen Verwandten in der Öffentlichkeit zu zeigen gewagt hatten, wurde wieder Fußball gespielt. Ein paar junge Männer, die kickten. Das Sharia-Spektakel von einst: eine blasse Erinnerung.

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