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Kultur: Herzensbildung

Ivan Fischers Einstand im Konzerthaus.

Ivan Fischer ist ein bekennender Elfenbeinturmbewohner. Einer, dem die Musik tatsächlich „eine heilige Kunst“ ist, der daran glaubt, dass sich die Seelen der Menschen durch die Macht der Töne erheben lassen. Ganz im Sinne der Schiller’schen Vorstellungen von der ästhetischen Erziehung des Menschen.

Man mag das charmant naiv finden oder zumindest reichlich idealistisch – was der 61-jährige ungarische Dirigent allerdings aus dieser Geisteshaltung, aus diesem Herzensbildungsanspruch heraus mit den großen sinfonischen Werken des klassischen Kanons anzustellen vermag, das nötigt Bewunderung ab. Weil es unmittelbar berührt.

Am Freitag, bei der offiziellen, durch Grußworte des Regierenden Bürgermeisters geadelten Amtseinführung Ivan Fischers als neuem Chefdirigenten des Konzerthausorchesters, dirigiert er am Gendarmenmarkt Brahms und Dvorak: so inniglich, mit so viel tiefer, rückhaltloser Liebe zu den Partituren, dass ihn das Publikum am Ende gar nicht mehr gehen lassen will. Wieder und wieder wird er auf die Bühne gerufen, wo er ganz bescheiden den Applaus mit den Musikern teilt, bis er schließlich das ganze glückliche Orchester selber hinausgeleitet.

Goldener Abendsonnenglanz aus ungarisch-österreichischen Kaiserzeiten erfüllt an diesem Abend das Konzerthaus, das ja architektonisch so tut, als sei es ein preußischer Bruder des Goldenen Wiener Musikvereinssaals. Ivan Fischers Klangideal, für das er eine neue, individuelle Sitzordnung der Instrumentalgruppen auf dem Podium ertüftelt hat, ist weich und kantenlos, gediegen und geschmackvoll, altmodisch im angenehmsten Sinne. Jedoch nie staubig, sondern von sensibler Wachheit geprägt, emphatisch, organisch und frei fließend.

Meisterlich gearbeitet das Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Johannes Brahms, hellwach musiziert vom Orchester, das so auf Augenhöhe mit Julia Fischer und Daniel Müller-Schott agiert, den beiden Solisten, die sich sehr vertraut in ihre privaten instrumentalen Plaudereien versenken.

Antonin Dvoraks siebte Sinfonie ist wahrlich nicht das stärkste Stück des Tschechen. Unter den Händen Ivan Fischers aber wird selbst der längste kompositorische Leerlauf noch zur Vorwärtsbewegung, die Entwicklung verspricht. Und alles, was sonst gern dröhnt, löst sich in tänzerische Leichtigkeit auf. Beeindruckend, wie er die Kunst des Diminuendo und Ritardando beherrscht, des subtilen Leiser- respektive Langsamerwerdens, ohne dass der Spannungsfaden reißt.

Ach ja, eine Uraufführung gibt es auch noch. Detlef Glanerts „Nocturne für Orchester“, eine virtuos instrumentierte, handwerklich sehr solide gearbeitete Fantasieouvertüre, die in ihrem vielfarbigen Expressionismus so klingt wie die Avantgarde vor 90 Jahren. Ein klassisches Feigenblatt also. Frederik Hanssen

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