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Kultur: Herzflattergewächse

Fernöstlicher Diwan: Salvatore Sciarrinos „Kälte“, eine Opern-Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen

Von der Oper möchte man große Bilder, tiefe Gefühle und starke Musik, Nahrung für den Intellekt womöglich, Augenblicke von Wahrhaftigkeit. All das gibt es an diesem Abend im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses nicht. Nirgends. Und dennoch wird aus der Uraufführung von Salvatore Sciarrinos „Da gelo a gelo“ (zu deutsch: „Kälte“) ein gelungener Opernabend. Nach „Die Tödliche Blume“ (1998) und „Macbeth“ (2002) ist „Kälte“ Sciarrinos dritte Auftragsoper bei den Schwetzinger Festspielen, wie überhaupt die Musik des Italieners, die von Andeutungen lebt, von Stille und Verhaltenheit, im intimen, holzbedielten Schlosstheater kongenial untergebracht ist.

Sciarrinos Klänge verkehren die Welt. Sie suchen ihre Möglichkeiten nicht in der Expansion, sondern in der Wendung nach innen: Randschwingungen, überleise Terzentriller und angerissene Melodien beim Gesang, im Orchester Schaben, Kratzen, leises Schnurren, aufwehende und ersterbende Flötenklänge, Fliegenflügelsirren, unter die Lupe genommene Streicheratemzüge, eine Welt aus Klanginsekten, die umso farbiger wird, je tiefer man die Nase ins musikalische Gebüsch steckt.

Diesmal hat sich der kompositorische Autodidakt einem Text zugewandt, der seiner eigenwilligen Musik besonders gut entspricht: dem um 1000 geschriebenen Tagebuch der japanischen Poetin und Hofdame Izumi Shikibu, die sich von ihrem Mann trennt, um die Geliebte des Prinzen Tametaka zu werden und nach dessen Tod mit dem Prinzen Atsumichi eine Beziehung eingeht. Das Tagebuch endet in dem Augenblick, als sie in den Palast des Prinzen einzieht und der Skandal bei Hof sie zum Abschied zwingt.

Sciarrinos Oper beginnt mit der Nachricht von der Heirat des Prinzen. Früh erklingt das erste von 65 Gedichten: „Der Orangenblüten Duft / erinnert an den Ärmel /dessen, der nicht mehr wiederkommt.“ Wer hier Haiku-Silben zählt, liegt allerdings falsch. Bei Sciarrino wird selbstverständlich italienisch gesungen, nicht japanisch, und dass das knapp zweistündige Musiktheaterwerk an keiner Stelle folkloristisch tönt, trotz Bambusflötenanmutung oder Glockenspielzilpzalps, ist einer seiner großen Vorzüge. Sciarrino bleibt bei sich. In hundert Szenen spielt sich seine Liebesgeschichte ab. Diener tragen Briefe mit verrätselten Botschaften hin und her, die aus dem Orchestergraben gesprochen werden, in Flötenrohre hinein, „wie eine schlechte Telefonleitung“ (Sciarrino). Die Liebenden treffen sich, Schneeflocken fallen, fremde Besucher kommen, Izumi und der Prinz befragen einander – ein stetes Perspektiv- und Kammerwechseln, eine poetische, aufgeladene Atmosphäre.

Schon in der Partitur ist die Trennung der Bühne in den Raum der Frau und den des Mannes vorgesehen. Trisha Brown (Regie) und Jennifer Tipton (Lichtdesign) arbeiten mit kalt gleißenden Lichtstrahlen in einem Raum, auf den Bühnenbildner Daniel Jeanneteau kaum mehr gestellt hat als Holzpfeiler, eine Lampe und kleine Paravents, Ingredienzen eines sparsamen östlichen Interieurs. Hier treffen sie sich, Anna Radziejewska als Izumi, Otto Katzameier als Prinz, Ulrike Mayer (Amme und Kammerfrau) sowie die Pagen Felix Uehlein und Michael Hofmeister. Brown, von Haus aus Choreografin, führt die Figuren in stilisierten Bewegungen zusammen und lässt die Liebenden noch in der kunstvollsten Umschlingung aneinander vorbeischauen. Perfekt fügen sich in diese Ästhetik die japanischen Kostüme von Elizabeth Cannon ein.

Leinen, Seide und Ultragepflegtheit also, ein klug kontrollierter visueller Eindruck, dem die Besetzung in nichts nachsteht. Radziejewska mit ihrem intensiv glänzenden Sopran und Katzameier mit dunkelwarmem Bariton entledigen sich brillant der Aufgabe, Sciarrinos verzwickelten Vorgaben zu folgen, und dies, obwohl beiden anzuhören ist, wie viel Raum sie ausfüllen könnten. Auch das SWR-Sinfonieorchester unter Tito Ceccherini begleitet mit einer Souveränität, als ob es nie anderes als Sciarrino gespielt hätte.

So wird der Abend, eine Koproduktion mit der Opéra National de Paris und dem Grand Théâtre de Genève, zur Feier des Geschmacks, so stimmig und stimmungsvoll, dass man fast schon wieder nach den großen Gefühlen schielen möchte. Denn diese Musik bricht zwar mitunter aus, in eine lustige Anverwandlung des Türkischen Marschs, eine Wagnersche Liebesnacht in homöopathischer Dosis, in dunkle Gewitterklangwolken. Aber man muss sich einlassen können auf das Wagnis des Subkutanen, der lyrisch-musikalischen Miniaturenkette. Am Ende bleibt ein Herzflattern, kein Herzschlag.

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