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Kultur: Herzlich fremd

Die Begegnung von Asien und Europa 1500-1800: eine prachtvolle Londoner Ausstellung

Transnationaler Austausch gilt heutzutage als Wert an sich. Das war nicht immer und überall so. Doch da Geschichte stets aus der Sicht der Gegenwart geschrieben wird, liegt es nahe, den einstigen Kontakt der Kulturen als Vorgeschichte der heutigen Praxis zu interpretieren.

Diese Grundannahme trägt die Ausstellung „Begegnungen: Das Aufeinandertreffen von Asien und Europa 1500–1800“, die das Londoner Victoria & Albert Museum mit durchweg faszinierenden Objekten aufblättert. Mit der Zeitenwende, die die Entdeckung Asiens auf dem Seeweg durch Vasco da Gama 1498 bewirkte – zusammen mit der Entdeckung Amerikas sechs Jahre zuvor –, kamen Europa und Asien in direkten Austausch. Den belegt die Ausstellung mit zahlreichen Luxusgegenständen, die aus Indien, China und Japan an europäische Höfe und Sammler gelangten. Porzellan wurde – wie eine vom rheinischen Grafen Manderscheidt 1583 erworbene Teeschale – kostbar gefasst. Der erste Elefant, der 1553 nach Österreich kam und alsbald verstarb, erbrachte die Knochen, aus denen am Hofe Kaiser Maximilians II. ein Thronsitz geschnitzt wurde. Die schimmernden Gehäuse der Nautilusschnecke fanden sich in den gleichnamigen Pokalen wieder, die in ganz Europa zu Must-haves avancierten.

Europa suchte in Asien die Realität seiner eigenen Vorstellungen. Asien hingegen – und das untergräbt die politisch korrekte These der Ausstellung – war an Europa herzlich wenig interessiert. Vor 1800 war insbesondere der Ferne Osten geprägt von einer enorm hoch stehenden kulturellen, zivilisatorischen und technischen Entwicklung – was die im 19. Jahrhundert geprägte Ideologie von der „Entdeckung“ der Welt durch westeuropäische Seefahrer unterschlägt. Welche westlichen Leistungen sollten dem Reich der Mitte denn imponieren, bevor die überlegene europäische Waffentechnik Asien nach 1800 zum wehrlosen Objekt von Eroberung und Ausbeutung machte?

Allenfalls nahm man die europäischen Seefahrer als Kuriosität wahr, wie auf einem geradezu ironischen japanischen Stellschirm von etwa 1630. Auf dem indischen Subkontinent, der sich den mühsam um Afrika herumgesegelten Handelsschiffen gegenüber aufgeschlossener zeigte als der bald rigide versperrte Ferne Osten, bildete sich ein auf den europäischen Geschmack abgestimmtes Manufakturwesen. Europa kaufte genau die Objekte, die es sich von Asien ersehnte.

Ein besonderes Kapitel bilden die von Portugal unternommenen Versuche der Christianisierung Asiens. Die Missionare trafen auf eine ungewohnte religiöse Vielfalt und Toleranz. In europäischen Stützpunkten wie Macao wurden Altäre und Messgewänder produziert. Die visuellen Vorstellungen des Ostens und des Westens berührten einander punktuell.

Mehr jedoch nicht. In China und Japan – den beiden Staaten, die den Kontakt mit Europäern strikt auf Handel und wenige Enklaven beschränkten – bildete sich eine der europäischen vergleichbare Faszination für das Exotische, das von dieser Warte aus im fernen Westen lag. Kaiser Qianlong ließ sich im 18. Jahrhundert gar einen französischen Barockpalast errichten – analog der China-Mode, die zu den Pagoden in zahlreichen europäischen Fürstengärten führte. Die Ausstellung macht deutlich, wie sehr der Westen zum Kuriosum taugte – in Umkehrung derjenigen Perspektive, die das eurozentrische Geschichtsbild bis heute prägt.

Die Ausstellungsthese vom wechselseitigen Austausch bleibt gleichwohl eher Wunschdenken. Es war Europa, das die Artefakte Asiens begierig aufnahm; nicht umgekehrt. Die europäischen Händler konnten mangels östlicher Nachfrage keine Güter tauschen, sondern mussten mit dem Silber ihrer amerikanischen Kolonien bezahlen (was wiederum zum Nachbau asiatischer Importwaren in Europa führte, exemplarisch an der verzweifelten Suche nach dem Geheimnis des Porzellans). Spät erst und nur unvollständig wurden technologische Errungenschaften Europas im Osten rezipiert, vor allem in Kartographie und Messtechnik. Rokoko-Tischuhren wurden in China Mode und alsbald nachgebaut. Den größten Einfluss hatte die überlegene Waffentechnik. Portugiesen brachten die ersten Gewehre und Kanonen mit; im Laufe der Zeit entstanden lokale Waffenmanufakturen.

Die Ausstellung bricht mit der neuerlichen Zeitenwende von 1800 ab, als Indien nach der inneren Auflösung des Mogulreiches unter britische Herrschaft geriet. China verfiel in Agonie; Japan rettete sich in vollständige Isolation. Die Geschichte des zumindest punktuellen Austauschs unter Handelspartnern und des gegenseitigen Respekts fand ein abruptes Ende. Drei Jahrhunderte lang hatten sich die beiden Kontinente berührt – und zahllose Objekte hervorgebracht, in denen die wechselseitigen Vorstellungen von Fremdheit und Andersartigkeit ihre schönste Gestalt gewannen. Die unauflösliche Verschränkung der Handelswege indessen ist eine Sache von heute.

London, Victoria & Albert Museum, bis 5. Dezember. Katalog, 396 S., 24,95 Pfund.

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