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Kultur: Hetzjagd auf serbische Art

Nationalbibliothekar Sreten Ugricic geschasst.

Wohl dem, der zurzeit nicht in serbischen Staatsdiensten steht. Hier ist man einem Souverän ausgeliefert, der über allen – und eben auch: über allem – steht. Diese Erfahrung musste vergangenes Wochenende der auch in Deutschland bekannte Romancier Sreten Ugricic machen. Der 1961 geborene Ugricic, im Hauptberuf Leiter der serbischen Nationalbibliothek in Belgrad, hatte eine Petition des einst Milosevic-kritischen Forum pisaca mitunterzeichnet, die dazu auffordert, die Hetzjagd auf den montenegrinischen Kolumnisten Andrej Nikolaidis einzustellen. Nikolaidis wird schon lange öffentlich attackiert. Unter anderem hat der Filmregisseur Emir Kusturica („Underground“), heute ein Serbo-Kulturaktivist der besonderen Art, Nikolaidis jahrelang gerichtlich wegen angeblich erlittener „seelischer Schäden“ verfolgen lassen.

Nun hat Nikolaidis Anfang Januar unter den Titeln „Was von Groß-Serbien übrig ist“ und „Make-up eines politischen Monstrums“ die serbische Verstrickung mit der Republika Srpska, der serbischen Entität des Staatsprovisoriums Bosnien und Herzegowina, angeprangert und in drastischen Bildern heftige, aber nicht ganz abwegige Sprüche geklopft. Vor allem ein Satz, der auf einen Sprengstofffund in Banja Luka anspielte, erregte die Gemüter.

Nikolaidis versteigt sich hier zu der Aussage, es hätte einen zivilisatorischen Akt dargestellt, diese Ladung zur Zwanzigjahrfeier der Teilrepublik hochgehen zu lassen. Sein komplexer Text wurde allerdings stets nur in Auszügen gedruckt, sogar Zitate aus seinem 2003 erschienenen Romans „Mimesis“ mussten zur Verurteilung des Autors als Terrorist herhalten. Eine Hetzjagd, die die antinationalistische Online-Zeitschrift www.e-novine.com akribisch dokumentiert.

Ugricic, der als einziger Unterzeichner seine Haltung zum Fall Nikolaidis öffentlich kommentierte, lieferte sich damit selbst ans Messer. Innenminister Ivica Dacic erklärte in „Blic“, einer der auflagenstärksten Boulevardzeitungen, Ugricic müsse sofort seines Postens enthoben werden: „Er kann das gerne unterstützen, aber nicht von der Position des Bibliotheksleiters aus, sondern aus dem Gefängnis.“ Enver Kazaz, bosnischer Literaturprofessor, kommentierte das, frei nach Kundera, mit den Worten, nur paranoide und totalitäre politische Systeme ließen ihren Schriftstellern die Aufmerksamkeit zuteil werden, die sie auch verdienten. Die kroatische Schriftstellerin Olja Savicevic-Ivancevic wiederum erklärte, man müsse schon ein ausgesprochener Trottel sein, um Nikolaidis’ Text so zu verstehen, wie er ausgelegt wurde.

Zahlreiche Schriftstellerkollegen haben sich in den letzten Tagen ähnlich mutig zu Wort gemeldet: Sasa Ilic, Biljana Srbljanovic, Filip David oder Svetislav Basara. Die eigentliche Crux am Fall Ugricic wie auch am Fall Nikolaidis liegt aber in beider Doppelfunktion. Nikolaidis’ Zeitungskommentare werden von ihren serbischen Gegnern gern vor dem Hintergrund gelesen, dass ihr Autor Berater Ranko Krivokapics ist, des Präsidenten des montenegrinischen Parlaments. Ugricic wiederum wird von eben diesen Serben nun ausgerechnet an seinem Amt als Bibliotheksleiter gepackt und von der Lohnliste des Staates gestrichen. Dass er seine Aufgabe über Jahre mit Bravour erfüllt hat, bestreitet niemand, und das macht umso deutlicher, dass die Regierung lediglich die Gunst der Stunde nutzt, um einen Kritiker loszuwerden.

„Der Diktator diktiert. Das verblendete Volk Serbiens liegt im reversiblen Koma“, schreibt Ugricic in seinem, letztes Jahr im Berliner Dittrich Verlag auch auf Deutsch erschienenen, Roman „An den unbekannten Helden“ (Tagesspiegel vom 12.3.2011). Das Buch, in dem „Der Diktator“ herrscht und „Der Narr“ Chef der Geheimpolizei ist, hat sich als prophetisch für sein eigenes Schicksal erwiesen. Ein lächerlicher Polizeichef hat Ugricic mit Rückendeckung eines als Anwalt verkleideten Herrschers auf die Straße gesetzt: wegen staatsfeindlicher Äußerungen. „Serbien ist Desinformation“, schreibt Ugricic in seinem Roman.

Miranda Jakiša lehrt Süd- und Ostslawische Literaturen an der Humboldt-Universität Berlin.

Miranda Jakiša

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