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Kultur: Heute blau, morgen blau

Und übermorgen wieder: Die Blue Man Group ist am Potsdamer Platz angekommen

Eigentlich sieht er ja jetzt fertig aus, der Potsdamer Platz. Verschwunden die bunten Röhren, durch die gurgelnd das abgepumpte Grundwasser schoss. Verladen die Baucontainer, abgebaut die Kräne. Hinter den Fassaden aus Stahl, Glas und Terracotta scheint alles seinen Platz gefunden zu haben. Doch es gibt eine nachtblaue Seite dieser Metropolis-Insel, eine Art anarchistisches Gegengewicht: Im Bauch des Theaters am Potsdamer Platz hat sich ein kleiner Trupp schweigsamer Männer verschanzt, sie lassen erstaunt Farbbeutel in Fontänen aufspritzen und klopfen konzentriert die Produktpalette des Baumarkts auf ihr kreatives Potential ab. Ihre Kluft sieht ein wenig nach den Ingenieur- Overalls aus, und ihre Hautfarbe schimmert in avantgardistischem Yves-Klein-Blau.

Die Blue Man Group hat nach Erfolgen in New York, Boston, Chicago und Las Vegas den Sprung ins alte Europa gewagt. In den USA sind die drei Blauen Pop-Ikonen. Hollywood-Star Robin Williams lässt sich von ihnen in Farbe wälzen und auf eine Leinwand schleudern. In eigenen Shops wird jeder in den Shows erstellte Klecks der Truppe verkauft, wie Kunst. Solche Markenkraft fehlt beim Europa-Start in der Hauptstadt. In Berlin war blau bislang belegt mit Marlenes Engel, Juhnkes Fahne und Herthas Trikots. Die Stadt wirkt bereit für neue Bedeutungsebenen dieser Farbstellung.

Nach einem Revival der altgedienten „Cats“ suchte der Entertainment-Gigant Stage Holding nun eine Software, die Publikumsgrenzen überspringt, ein trojanisches Show-Pferd. Die Blue Man Group bringt dazu geeignetes Baumaterial mit: einen kräftigen Balken Rockkonzert, eine paar flexible Latten Multimedia-Spektakel, eine Hand voll lässig eingeschlagener Volkshochschul-Nägel und als Tarnanstrich einen Klacks farbige Eierpampe. Fertig ist ein seltsames Bühnentier, bei dem Bekanntes nach Wolpertinger-Manier verstörend neu zusammengefügt ist. Und es hat durchaus Charme. Wenn aus den drei naiven blauen Kundschaftern plötzlich die Bosheit bricht - dann fühlt sich das Publikum kurzzeitig nicht mehr ganz sicher. In diesen Momenten spürt man sie, die Blue-Man-Wurzel - als leicht spöttische Performance von Kunststudenten, die sich über die Posen des Kunst- und Musikbetriebs lustig machen.

Doch diese Momente füllen das 1800- Plätze-Haus nicht aus. Und irgendwie sind sie auch zu artig, die blauen Männer. Die unter Plastikcapes verborgenen Zuschauer in den ersten Reihen streifen ihre Schutzhüllen nach der Vorstellung leicht enttäuscht wieder ab. Man reibt sich die Augen. Es stimmt schon: Trommelshows sind virtuoser, Rockkonzerte aufregender, Copperfield ist illusionistischer, Und jeder Lloyd-Webber-Abend hat mehr Tempo.

Vielleicht kommt mit der Routine ja noch etwas mehr Zug in die Truppe: Neunmal die Woche wird die Blue Man Group ihre gigantischen Papierschlangen durchs Theater am Potsdamer Platz schicken, so lange, bis das Publikum, erhitzt vom Ringen mit den Riesenwürmern, aufsteht und applaudiert. „Das verwendete Papier ist Umweltpapier“, informiert eine Leuchtschrift. Umweltengel sind blau.

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