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Kultur: Hier seht ihr mich, ich bin nicht anders

Heute wird nach anderthalbjährigem Umbau das Lutherhaus in Wittenberg wieder eröffnet

Es ist nur ein Stück Stoff, aber es hat Aura. Das Gewand, das in seiner Vitrine von dezentem Kunstlicht umfangen wird, besticht durch absolute Schmucklosigkeit. Der dunkelbraune Leinenstoff wurde mehrfach ausgebessert, die Ösen am Kragen sind offenbar spätere Ergänzungen. 1517 bat Martin Luther seinen Landesfürsten Friedrich den Weisen, ihm eine neue Mönchskutte zu schenken, weil seine alte verschlissen sei. In dieser Kutte donnerte der Kirchenrebell auf dem Reichstag zu Worms dem Kaiser sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ entgegen. Jetzt hängt sie im Wittenberger Lutherhaus, wo auch die Kanzel zu sehen ist, von der herab der Reformator predigte, und ein Becher, aus dem er trank.

Man mag es für eine Ironie der Geschichte halten, dass der Kult um Luther an die Formen katholischer Heiligenverehrung erinnert. Schließlich hatte Luther Schluss machen wollen mit den Heiligen. Seine 95 Thesen nagelte er der Legende nach am Vorabend von Allerheiligen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, als dort gerade Tausende von Reliquien für die Ausstellung aufgebaut wurden. 19 000 Reliquien gehörten zu der Sammlung des Kurfürsten. Die Bestände des Lutherhauses, das nach einer anderthalbjährigen Sanierung heute Abend in Anwesenheit von Kulturstaatsministerin Weiss wieder eröffnet wird, umfassen inzwischen mehr als 40 000 Objekte. Etwa 1000 dieser Objekte werden in der neuen Dauerausstellung gezeigt, der es geradezu mustergültig gelingt, Kulturgeschichte zu vergegenwärtigen. Und die Lutherkutte hat gegenüber Reliquien wie dem „Heiligen Rock“ aus Trier einen Vorteil: Sie ist vermutlich echt.

Wer Wittenberg besucht, stößt auf Schritt und Tritt auf Luther und seine Reformationsgefährten. Gleich am Ortseingang erhebt sich die Luther-Eiche, daneben ein Gedenkstein „Zur Erinnerung an die Tat Dr. Martin Luthers am 10. Dezember 1520“, die Verbrennung der päpstlichen Bannandrohungsbulle. Vor dem Rathaus stehen Luther und Melanchthon unter gusseisernen Baldachinen, im Cranach-Haus gegenüber läuft die Ausstellung „Lucas Cranach in der Philatelie“. In den Geschäften sind „Lutherbrot“, ein lebkuchenartiges Gebäck, Luther-Socken und ein Bier „Original Luther-Urtyp dunkel“ zu haben, Werbeslogan „Ein Kännlein gegen den Teufel ihn damit zu verachten“. 250 000 Touristen besuchen alljährlich das sächsisch -anhaltinische 50000-Einwohner Städtchen, das belebt die Phantasie der Andenkenhändler.

Der Luther-Kult ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Es waren die preußischen Könige, die die Erinnerung an den Konfessionsgründer aus ihrer religiösen Bescheidung in den Rang einer Staatsangelegenheit erhoben. Friedrich Wilhelm IV. stiftete für die im Siebenjährigen Krieg beschädigte Schlosskirche eine neue Thesentür aus Bronze, später wurden im Inneren Sitzbänke für die reformierten Fürsten und ein Kaiserstuhl neben dem Altar installiert. Hier trank Kaiser Wilhelm II. in Analogie zu Christ Abendmahl aus Luthers Mundbecher: „Dieser Pokal aber, den einst Luthers Lippen berührten, soll Mir dazu dienen, das Wohl Meiner durchlauchtigsten Gäste daraus zu trinken.“ Mit dem Schluck aus dem Becher gab der Herrscher sich selber die sakralen Weihen. (Einen Überblick über die Geschichte des Luther-Kults gibt der Band „Lutherinszenierung und Reformationserinnerung“, hg. v. Stefan Laube u. Karl-Heinz Fix, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2002, 473 S., 48 Euro).

Fast vierzig Jahre, von 1508 bis 1546, hatte Luther in dem Augustiner-Kloster am Rand der Wittenberger Altstadt gelebt, seine Witwe Katharina von Bora blieb bis kurz vor ihrem Tod 1552. Lange mussten Besucher sich damit begnügen, einen Blick in die „Lutherstube“ im ersten Obergeschoss zu werfen, wo knarzige Holzverkleidungen, Butzenscheiben und ein Kachelofen bis heute den authentischen Charme der Renaissance verströmen. 1883 verwandelte die Museumsgründung das gesamte Gebäude in eine „Lutherhalle“, nachdem der Meisterarchitekt Friedrich August Stüler bereits zuvor den Hörsaal, in dem der Reformator Vorlesungen hielt, in ein neogotisches Prunkgehäuse verwandelt hatte.

„Mit dem Umbau ist es uns gelungen, den Traum der Museumsgründer zu verwirklichen“, sagt Stefan Rhein, der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten. Das Haus heißt jetzt nicht mehr Lutherhalle, sondern Lutherhaus und ist erstmals nahezu komplett zugänglich. Die Ausstellungsfläche wuchs von 800 auf 1800 Quadratmeter, dafür war es notwendig, Büros, Werkstätten, Toiletten und Kassenbereich auszulagern. Bewältigt wurde diese Aufgabe mit einem kleinen architektonischen Geniestreich. Der Berliner Architekt Helge Pitz schob zwischen den Westgiebel des Klosters und das angrenzende Direktorenhaus aus den Dreißiger Jahren einen nur vier Meter breiten Eingangsbau, der eine weitgespannte gläserne Überdachung und ein Treppenhaus in schlichtem Sichtbeton enthält. Über die freigelegten Fundamente des im Dreißigjährigen Krieg geschliffenen Turms – hier hatte Luther 1513 sein „Turmerlebnis“, eine Stunde religiöser Erkenntnis, die als Geburtsmoment der Reformation gilt – führt eine kleine Brücke. Bei den Bauarbeiten wurden außerdem im Obergeschoss der wabenförmige Ziegelsteinfußboden aus Luthers Zeiten und eine ehemalige Abfallgrube entdeckt, in der sich neben Kacheln und Krügen auch rund 30 Schuhe aus dem 17. Jahrhundert fanden. Die Renovierung und der Aufbau der neuen Dauerausstellung kosteten rund 7, 5 Millionen Euro, das Geld kam von EU, Bund und Land sowie von der Evangelischen Kirche.

„Uns ist Christi Reich ein hör Reich, nicht eine sehe Reich“, hat Luther gepredigt. Hören war dem Reformator wichtiger als Sehen, das Wort Gottes galt mehr als jedes noch so wertvolle Ding. Ausstellungsmacher, die mit Anschauungsobjekten arbeiten, könnte eine derartige Einstellung vor Probleme stellen. Im Lutherhaus hat ein luftig inszenierter Parcours durch Leben und Werk des Meisters die übervolle, noch aus DDR-Tagen stammende Schau von 1983 abgelöst. Für eilige Besucher reicht eine Stunde, um die berühmtesten Exponate zu sehen, vom Ablasskasten bis zum Lutherbecher, das stärker interessierte Publikum kann sich in vertiefenden Räumen mit Alltagsleben, der Reformation als Medienrevolution oder den Merkwürdigkeiten des Lutherkultes bis hin zu wilhelminischen Pfeifenköpfen und Bierhumpen auseinander setzen. Daneben gibt es einen Kinoraum, für den Studenten der Babelsberger Filmhochschule aus 14 abendfüllenden Lutherfilmen eine 14-minütige Filmcollage zusammengeschnitten haben. Im Zeitraffer ist dort zu besichtigen, wie sich jede Epoche ihren eigenen Luther erschuf.

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