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Kultur: Hier wirst du zum Künstler

Ahnen der Toskana-Fraktion: Eine Münchner Ausstellung zeigt Italien als Wahlheimat der Goethezeit

Womöglich wird es, der aktuellen politischen Ereignisse halber, demnächst einige Toskana-Pensionäre mehr geben; in rot-grünen Kreisen sind italienische Landgüter sehr beliebt. Damit stellen sich die Zweitwohnsitzler in eine ehrwürdige Tradition. Die trägt den Namen Goethe: Er bleibt der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Italiensehnsucht. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ – diese Anfangszeile kennt (beinahe) jeder; dass es der Auftakt des Liedes der Mignon aus dem Bildungsroman „Wilhelm Meister“ ist, schon weniger. Natürlich darf das Gedicht als Wandtext in der Ausstellung nicht fehlen, die die Münchner Neue Pinakothek unter dem ihm entlehnten Titel „Kennst du das Land – Italienbilder der Goethezeit“ eingerichtet hat.

Es mag altfränkisch klingen, eine Ausstellung „bezaubernd“ zu nennen; doch das Bezaubern ist genau das Ziel all der 120 Gemälde, Ölskizzen und Zeichnungen, deren Großteil aus der hauseigenen Sammlung stammt. Der bayerische König Ludwig I. war es, der die Italiensehnsucht als Kronprinz in Rom ab 1817 auslebte und als Regent in München durch Ankauf immer neuer Gemälde für die von ihm 1826 gegründete (Alte) Pinakothek weiterhin pflegte.

So kam 1832 auch Friedrich Overbecks nur vier Jahre zuvor entstandenes Programmbild „Italia und Germania“ ins Haus, eine Ikone der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts. Das Gemälde, das die Herzensverwandtschaft der beiden Länder allegorisch fasst, hängt nicht in der Ausstellung, sondern wie gewohnt in den Sammlungsräumen. Verständlich zwar, weil die Ausstellung allein der Landschaftsmalerei gewidmet ist. Und dennoch betrüblich, weil diese Landschaften sich nur demjenigen ganz erschließen, der sie auf dem Hintergrund jener geistigen wie sinnlichen Sehnsucht zu deuten sucht, der der Deutsch-Römer Overbeck Ausdruck gab und die in Goethes „Auch ich in Arkadien“ für Generationen zum geflügelten Wort wurde.

Der Münchner Kunsthistoriker Frank Büttner hat die Ausstellung mit seinen Doktoranden eingerichtet; sie ist die Frucht einer beispielhaften Kooperation zwischen Museum und Universität. Büttner nennt die Bilder in seinem Beitrag zum umfänglichen Katalog „einen schönen Wunschtraum, den die Künstler für uns geträumt haben“. Doch das bezeichnet weniger einen Mangel als die eigentümliche Stärke dieser Landschaftsmalerei: dass sie ein ideales Bild im Betrachter aufrichten wollte. In ihm vermählt sich die Erfahrung der tatsächlichen Landschaft mit dem Bildungsideal, das erst die Triebfeder dessen bildet, was exemplarisch in Goethes „Italienischer Reise“ Gestalt gewonnen hat.

Freilich gibt es eine ganze Spannbreite an Ausdrucksmöglichkeiten, die sich hinter dieser allgemeinen Charakteristik verbergen. Die Münchner Ausstellung unternimmt es wohl erstmalig, die deutsche Italienmalerei nicht stilistisch oder nach Künstlern, sondern topographisch zu ordnen. Wohin gingen die Maler? Was sahen sie? Und wie? Das sind die Fragen, die die Ausstellung in kluger Auswahl eines letztlich überreichen Materials beantwortet.

Überreich deshalb, weil sich im 19. Jahrhundert ein beständig wachsender Markt auftat, den mehr und mehr Kleinmeister routiniert bedienten. Was Ludwig – seit 1825 König – in der 1827 erworbenen Villa Malta vorlebte, konnten die Touristen der Frühzeit naturgemäß nicht nachahmen; wohl aber galt es, Erinnerungen an die bürgerlich gewordene Bildungsreise zu konservieren. Bis zur Heraufkunft der Fotografie: Die Neue Pinakothek ergänzt darum ihre Gemäldeausstellung um eine weitere, die frühe Fotografien Roms der Zeit zwischen 1846 mit einer der ältesten bekannten Aufnahmen und 1870 zeigt.

Zurück zur Malerei. Die Ausstellung gliedert sich in vier Hauptkapitel, das erste der idealen Landschaftsmalerei gewidmet, die drei folgenden den Reisezielen Rom und Campagna, Neapel mit Vesuv und den vorgelagerten Inseln sowie Sizilien. In den Werken des ersten Kapitels wird sowohl das Vorbild Claude Lorrains zitiert, der im Rom des 17. Jahrhunderts den Maßstab für Naturwahrnehmung überhaupt errichtet hatte, als auch Goethe gehuldigt, dessen Kunstbegriff auf die Ebene des Stils zielte und die einfache Naturnachahmung nur als Vorstufe gestattete. Da muss natürlich der Name Jakob Philipp Hackerts (1737-1807) fallen, Goethes Lieblings-Landschafter. Er nimmt mit seinen Reisen nach Rom, Neapel und – im Auftrag des dortigen Königs – nach Sizilien jene Reiseziele vorweg, die sich die folgenden Maler erst nach und nach erschließen. So ist er neben der „Idealen Landschaft mit Tempelchen“ von 1789 auch mit dem dramatischen „Vesuvausbruch“ von 1774 vertreten, der einen ganz anderen Aspekt der Italienmalerei anreißt: den des Erhabenen.

Im Begriffspaar des „Schönen“ und des „Erhabenen“, das den ästhetischen Diskurs von Edmund Burke (1757) über Kant bis zu Goethes Weimarer Mitbürger Schiller beherrscht, ist der Spannungsbogen der Italienmalerei benannt. Johann Christian Reinharts „Ideale Landschaft mit aufziehendem Gewitter“ von 1803 bezieht sich ausdrücklich auf Schiller. Reinhart malt im Auftrag Ludwigs I. vom Turm besagter Villa Malta nahe der Spanischen Treppe vier monumentale Veduten Roms, die in der Ausstellung an den Wänden einer Zeltarchitektur präsentiert werden, um sie optisch dem ursprünglichen Eindruck anzunähern. Wie klein doch Rom in diesen Jahren um 1835 noch war! Und das sollte Goethes „Hauptstadt der Welt“ sein!

Künstlerisch aus heutiger Sicht überlegen sind allerdings die grandiosen Ölskizzen, die Johann Georg von Dillis bereits 1818 von der Villa Malta aus gefertigt hatte. Wie der am Rande der Stadt gelegene Petersdom sich im sfumato auflöst, der Horizont in reine Farbe verschwimmt, das nimmt die Freilichtmalerei um Jahrzehnte voraus.

In der damals seit der Antike noch kaum veränderten, öden Campagna fanden die Maler eine andere Art erhabener Landschaft. Der Berliner Carl Blechen (1798–1840), der unter den Landschaftsmalern der Goethezeit durch seine dezidiert antiklassische Auffassung heraussticht, suchte den Charakter mehr noch als die Topographie der Landschaft zu erfassen. So konnte er auch bei dem beliebten Postkartenmotiv der Wasserfälle von Tivoli die Schroffheit der Natur herausarbeiten.

Neapel bot augenscheinlich die geringsten Möglichkeiten zur eigenständigen Entwicklung; zu vorgeprägt waren die Ansichten des Golfs und der Inseln. Wiederum ist es Blechen, der mit seinem „Nachmittag auf Capri“ (um 1830) einen härteren Ton anschlägt. In den Darstellungen des Vesuvs und seiner im touristischen Abenteuer erklommenen, Lava speienden Flanken mischt sich die buchstäbliche Illustration von Erhabenheit mit der naturwissenschaftlichen Neugier auf die zumal des Nachts farbenprächtigen Phänomene. Drei solcher Darstellungen versammelt die Ausstellung, unter denen Johan Christian Dahls „Ausbruch des Vesuv“ von 1826 zugleich die Golf-Landschaft dokumentiert.

In Sizilien endlich, diesem bis ins 19. Jahrhundert am mühevollsten zu erreichenden Reiseziel, faszinierten die griechischen Tempel – nicht zuletzt als Zeugnisse einer mit Winckelmann gesehenen Antike. Hackert malte 1785 die Tempel Agrigents als sowohl ideale Landschaft wie als Verkörperung klassischen Bildungszieles. Dass der „kühne Geist“ der Griechen „immer auf das Erhabene gerichtet“ gewesen sei, bemerkt Goethe, die strenge Dorik Agrigents im Sinn. Es sind die Darstellungen der griechischen Ruinen inmitten der Natur, die die Emanzipation der Landschaftsmalerei aus der überkommenen Hierarchie der Gattungen fördern. An die Stelle der bis dahin vornehmsten Gattung Historienmalerei konnte die zunehmend subjektive Darstellung vergangener Größe treten, ehe sich die Landschaftsmalerei ganz zum individuellen Natureindruck befreite.

Oder doch nur beinahe: Denn es macht den Zauber all dieser Bilder aus, dass sie unter Anteilnahme des „inneren Auges“ gesehen sind – mit jenem Vorwissen und jenen Hoffnungen, die im Begriff der Sehnsucht untrennbar zusammenfließen.

München, Neue Pinakothek, Barer Straße 29, bis 31. Juli, Katalog bei DuMont, auch im Buchhandel 39,90 €. – Rom-Fotografien bis 11. September, Katalog bei Edition Braus, 28 €, im Buchhandel 38 €.

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