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Kultur: Himmelhochjauchzend, bisschen betrübt

KLASSIK

Im zweiten Satz von Mahlers siebter Sinfonie gibt es eine merkwürdige Stelle: In die weltentrückte Einsamkeit dieser „Nachtmusik“ dringt das Geläut von Kuhglocken – als letztes akustisches Signal einer Außenwelt, die das sinfonische Ego bei seiner einsamen Gipfelbesteigung nur noch als fernes Echo vernimmt. Bei Michael Gielen s Konzert mit der Staatskapelle klingt diese Stelle eher, als sei im Foyer der Philharmonie zufällig jemand über einen Werkzeugkasten gestolpert. Ein zufälliges Geräusch, das mit dem Geschehen im Saal in keinerlei Beziehung steht. Das enttäuscht, denn eigentlich gehört Gielen zu den großen Mahler-Dirigenten seiner Generation und hatte etwa beim Mahler-Marathon der Festwochen vor drei Jahren noch mit einer kontrolliert brutalen Sechsten imponiert. Doch der klare Blick des Analytikers auf die Siebte ist merkwürdig trübe. Gielen kann sich zwischen Absturz und Ekstase nicht entscheiden und wählt einen Mittelweg. Der manische Überschwang der Ecksätze wird ebenso abgedämpft wie ihre introvertierten Gegenstücke im Herzen des Werks. Gleißendes Tageslicht und nächtliches Dunkel verschwinden unter einer dichten Dunstglocke. Ein Deckel, unter dem es nicht brodelt, sondern höchstens einmal leise simmert. Dabei hatte Gielen noch kurz vorher bei Bergs Violinkonzert gezeigt, wie er den opulenten Staatskapellenklang zum Blühen bringen kann, ohne auf Detailschärfe zu verzichten. Mit dreidimensionaler Anschaulichkeit lässt er die Motive hervortreten, um die sich Gidon Kremer mit seinem schlanken, bewusst ausgezehrten Geigenton herumschlängelt. Das „Andenken eines Engels“ ist nicht von Schmerz und Sinnlichkeit geprägt. Sondern von der Gewissheit, dass es schön ist, dort droben.

Jörg Königsdorf

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