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Kultur: "Himmler-Projekt": Warum dieser Geschichtsfilm ins Kino gehört

Irgendwann wird der Zuschauerin mulmig. Da hält einer drei Stunden lang eine Rede, das heißt, da sitzt einer, der eine Rede vorliest, nüchtern und ungerührt, nur manchmal verspricht er sich und setzt noch einmal an, während er reichlich gewöhnliche Dinge sagt, bis er auf diese Ungeheuerlichkeit der "anständigen" Judenvernichtung zu sprechen kommt - also da hält einer eine Rede und richtet sie an uns.

Irgendwann wird der Zuschauerin mulmig. Da hält einer drei Stunden lang eine Rede, das heißt, da sitzt einer, der eine Rede vorliest, nüchtern und ungerührt, nur manchmal verspricht er sich und setzt noch einmal an, während er reichlich gewöhnliche Dinge sagt, bis er auf diese Ungeheuerlichkeit der "anständigen" Judenvernichtung zu sprechen kommt - also da hält einer eine Rede und richtet sie an uns. Aber ich bin doch nicht gemeint, denkt die Zuschauerin. Diese Rede ist eine Geheimrede. Heinrich Himmler hat sie 1943 in Posen vor SS-Gruppenführern gehalten: eine Brand- und Durchhalterede zu einem Zeitpunkt, als es mit den Nazis bergab ging, vorgetragen in einem akustisch abgedichteten Saal - genau so, wie der Schauspieler Manfred Zapatka sie uns jetzt im Kino vorliest, diesem ebenfalls abgeschotteten Ort. Was habe ich mit der SS zu schaffen, fragt sich die Zuschauerin, dass ich nun genau wie die Offiziere den Publikums-Part übernehme?

Romuald Karmakars "Himmler-Projekt" ist kein gewöhnlicher Film. Eher eine dreistündige Installation. Die Rede wurde damals auf Wachsplatten aufgezeichnet. Manfrad Zapatka verliest den Original-Wortlaut. Damit ist dem Zuschauer ein prekärer Ort zugewiesen. Ein Ort, an dem die vertrauten Positionen im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit nicht eingenommen werden können. Weder die Position der Identifikation mit den Opfern, noch die des distanzierten Blicks auf die Täter, der wahlweise die Faszination oder die Banalität des Bösen registriert. Beide Möglichkeiten verwehrt "Das Himmler-Projekt": nicht, weil sie falsch wären, sondern weil diesen Arten der Erinnerung etwas fehlt. Karmakar mutet uns den Schock der Nähe zu, die gleichwohl keine Komplizenschaft herstellt. Er ermöglicht das genaue Hinschauen, das etwa bemerkt, wie in Krisenzeiten eine Arbeitsmoral beschworen wird, auf die auch heute in jeder ordentlichen Firma Wert gelegt wird.

Nach damaligen Maßstäben war Himmler ein schlechter Redner. Kein Demagoge. Nicht dieses Nazi-Gebrüll. Man kann seinen Argumenten folgen. Und man erschrickt darüber. Was wäre, wenn wir so eine Rede hören würden, die selbst bei der Passage, die die Ermordung der Juden legitimiert - eine der wenigen Nazi-Reden, in denen sie erwähnt wird - , nicht monströs klingt, sondern eher komplex?

In Deutschland lief Karmakars Film auf dem Forum der Berlinale 2000 und auf dem Dokumentarfilmfestival in Duisburg. Also zweimal. Die NRW-Filmstiftung hat den Antrag auf Verleihförderung im Dezember ein zweites Mal abgelehnt. Im zuständigen Gremium sitzen unter anderem Norbert Schneider, Direktor der Landesrundfunkanstalt NRW, Hans Janke, stellvertretender Programmdirektor des ZDF und WDR-Fernsehdirektor Jörn Klamroth. Die Sender scheuen sich, den Film auszustrahlen, aus Furcht vor dessen Missbrauch durch Neonazis. Dabei braucht unsere Gedenkkultur ein Störmanöver wie "Das Himmler-Projekt", das auch ein exemplarisches Stück Mediengeschichte darstellt. Karmakars Videoarbeit, fast ein Jahr alt, gehört endlich ins Kino. Damit aus dem Film über Himmlers Geheimrede kein Geheimfilm wird.

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