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Kultur: Hinterm Horizont

Sommerzeit ist Reisezeit. Und in der Reisezeit leeren sich die Städte und in den Galerien bleiben die Besucher aus.

Sommerzeit ist Reisezeit. Und in der Reisezeit leeren sich die Städte und in den Galerien bleiben die Besucher aus. Außerdem braucht der Mensch auch einmal Urlaub, und so schließen die Berliner Galerien im Moment eine nach der anderen ihre Türen. Doch es gibt Ausnahmen, die Galerie Amerika zum Beispiel. Sie trägt das Fernweh schon im Firmenschild, was den jungen Künstlern der Produzentengalerie offenbar vollkommen genügt. Seit gestern bestreiten vier Künstler dort eine Gruppenausstellung, die den ganzen August geöffnet ist (Brunnenstraße 7, Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr ) . Die Videokünstlerin und Fotografin Stephanie Kiwitt zählt dazu, die das Arbeitsmaterial und den dokumentarischen Ansatz der Becher-Schüler nutzt, nur ganz abdere Motive wählt. Sie hat den Blick für skurrile Alltagsmanagements in der Stadt, wobei die Bandbreite von schönem Sperrmüll bis zur Freiluftpräsentation mehrerer Einbauküchen reicht. Auch Andreas Schulze arbeitet mit Fotografie, allerdings stellt er sie zu Serien zusammen und evoziert so ihre erzählerische Kraft. Mit der ist es dann freilich oft nicht so weit her, wie man denkt. Auf Schultzes schwarz-weißen „Vegas“-Bildern – parkende Autos vor spektakulärer Felsformation, ein Hightechbüro, ein Mann, der just den Kopf dreht – meint der Betrachter, Ausschnitte eines Films zu erkennen. Bis er merkt, dass es sein eigener Film ist, den er da anschaut. Und die Bilder nur als Katalysator der Imagination dienen, selbst aber merkwürdig schweigsam bleiben (Auflagen 3 + 1, Preise von 600 bis 3800 Euro).

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Ferienzeit ist Reisezeit ist Zeit für neue Horizonte, dachte sich Galerist André Buchmann , und richtete einer Auswahl seiner Künstler eine Gruppenausstellung zum Thema ein (Charlottenstraße 13, heute 11 – 18 Uhr, anschließend nach Vereinbarung unter 030 / 25 89 99 29 bis 12. August) . „Monuments with a horizon line“ vereint so unterschiedliche Temperamente wie Giuseppe Penone, Lawrence Weiner , Jim Butler und Bettina Pousttchi, zieht allerdings gerade aus diesen Differenzen ihren besonderen Reiz. Denn das Thema birgt verblüffende Variationen. Bei Jim Butler ist die Horizontlinie identisch mit der Kante der Holzplatte, auf die drei ausgestopfte Piranas montiert sind („Bad Fish“, 2001). Der Amerikaner betrachtet die Raubfische mit der Zuneigung des Augenmenschen und der Distanz des Ironikers, während der weiße Hintergrund die Präsenz des Ensembles fast ins Surreale steigert (Preise auf Anfrage). Für Giuseppe Penone dagegen bedeutet Horizont Natur – echte, satte, saftstrotzende Botanik, deren Flüssigkeiten sich mittels Frottage-Technik wunderbar auf die Leinwand bringen lassen. „Verde des Bosco“ ist eine Arbeit aus dem Jahr 1983, der man ihr Alter definitiv nicht ansieht. Bettina Pousttchi schließlich dreht die Horizontale um 90 Grad, wodurch eine Vertikale entsteht: Sie hat ein Foto des New Yorker Empire State Building abgefilmt und so das Standbild in ungeheure, Schwindel erregende Bewegung versetzt. Die von ihr eigens dafür komponierte Tonspur tut ein Übriges. Wie Filmmusik suggeriert diese Dramatik: einen wahren Höllensturz und sein Ende in Dunkelheit. Dabei ist doch alles nur Täuschung, oder?

Ulrich Clewing

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