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Kultur: Hip oder top

Mark Greif beim Literaturfestival Berlin.

Als der New Yorker Publizist Mark Greif im Frühjahr in Berlin war, zog er mit seinem Buch „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“ ein beachtliches Publikum an. Als Teil eines Literaturfestival-Panels zum Thema „Emanzipation durch Intellekt“ schien er seine Hipness schon wieder verloren zu haben: Die vorderen Reihen des Saals im Haus der Berliner Festspiele waren nur locker gefüllt. Dabei hatte die Ankündigung viel versprochen: „AutorInnen gleichermaßen brillanter wie provokanter Texte sprechen darüber, wie die Emanzipation durch den Intellekt voranzubringen ist.“

Auf Greifs Vorschlag hatte man auch die britische Philosophin Nina Power eingeladen. Vor drei Jahren veröffentlichte sie ihre Wutschrift „Die eindimensionale Frau“ und verbreitete darin steile Thesen zur vermeintlichen Emanzipation der Frauen. Als Dritte war die Germanistin und Philosophin Juliane Rebentisch mit im Bunde: Ihre Arbeit „Die Kunst der Freiheit“ kritisiert die Ästhetisierung der demokratischen Kultur. Das ist ganz und gar nicht Greifs Position. Er hat nichts gegen Ästhetisierung und verliert sich in Ausführungen zu Pornografie.

Bei Recherchen zu seinem Buch „Bluescreen“ sprach er mit jemandem, der sich freute, dass ihm 200 Leute via Internet live beim Masturbieren zugeschaut hatten. Lacher im Publikum. Und weiter? Da sitzen drei Intellektuelle, die sich necken, über die Bedeutung von Reality-TV schwadronieren und sich einig sind, dass in dieser Welt gerade etwas Grundlegendes schiefläuft – in Form eines Kapitalismus, der alle Menschen nur scheinbar als freie Individuen erscheinen lässt.

Rebentischs Gedanken wirken noch am substanziellsten, doch hinkt sie dem Sprechtempo der anderen hinterher und führt in lähmender Genauigkeit ihre klugen Gedanken über die fehlende Distanz zwischen Politik und Gesellschaft aus. Auch Powers Betrachtungen zu einer Art „negativen Kollektivität“ in Bezug auf die Proteste in Großbritannien haben etwas, werden jedoch nicht ausformuliert.

Zuletzt will ein Zuschauer dann doch mal wissen, wie die Panelisten zum Titel der Veranstaltung stehen. Power erklärt, dass für sie Intellekt irgendwie alles sei, da niemand mehr in seinem Kämmerchen allein vor sich hin denke, sondern Denken an sich ein kollektiver Akt sei. Greif meint gar: Emanzipation werde gar nicht durch Intellekt erreicht. Genau genommen habe sich das Protestieren im Occupy-Camp im New Yorker Zucottin Park überhaupt nicht nach Denken angefühlt. Na dann: Weniger denken, mehr machen, lautet die Devise. Wenn es so einfach wäre. Katrin Gottschalk

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