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Kultur: Hirnnektar und Ambrosia

FORUM Magischer Fiebertraum mit Live-Geräuschen: „Brand Upon the Brain“ in der Deutschen Oper

Bevor es losgeht, tritt ein freundlicher Herr auf die Bühne. „Alle Geräusche an diesem Abend“, sagt er, „entstehen innerhalb dieser vier Wände.“ In der Oper ist das an sich kein aufregender Hinweis. Etwas anderes ist es, wenn hier ein Film zur Aufführung kommt, ein Stummfilm in Schwarzweiß, begleitet von Sprecher, Orchester, Gesang und drei Geräuschemachern. Sie stehen in weißen Laborkitteln vor der Leinwand inmitten ihrer Klangwerkbatterie, und wenn man sonst nichts hat von diesem Abend, dann doch die Erkenntnis, dass man mit ein wenig Grüngemüse das Knochenknacken der Leichenstarre akustisch recht gut nachempfinden kann.

Der Herr mit dem Hinweis ist Guy Maddin, und er ist aufgeregt, denn das, was vor ihm liegt, kann auch schief gehen. Zweimal hat es diese Aufführung erst gegeben, in New York und Toronto, einmal musste abgebrochen und von vorne begonnen werden. Guy Maddins eigenwillige Psychodramen, traumartig und komisch zugleich, konstruieren eine erfundene Vergangenheit. Ihr Thema ist Vergessen und Erinnerung, meist schöpfen sie aus Maddins eigenem Leben. Nicht abwegig, im Falle eine Provinzkanadiers, dessen Bruder sich auf dem Grab seiner Freundin in den Kopf schoss, der im Schönheitssalon seiner Mutter und beim Eishockeytraining des Vaters aufwuchs. Guy Maddin verbindet Melodram, Komödie, Märchen und Stummfilmexpressionismus zu psychosexuellen Traumturbulenzen – und dieses Mal trägt seine Hauptfigur schlicht den Namen: Guy Maddin.

Weil er den Leuchtturm neu streichen soll, wird Guy von der Mutter auf die Insel seiner Jugend zurück gerufen (Windmaschine, Wasserbottich, Seemöwenruf). Erinnerungen drängen sich auf: Damals ist die Leuchtwarte auch Waisenhaus, und Mutter Maddin führt ein strenges Regime. In der Turmlaterne sitzt sie wie auf einem Thron, der Lichtkegel ist ihr suchendes Auge, und wenn sie sich dreht, rasselt der Kettenzugs-Imitator des Geräuschemachers! Mama also ist eine Despotin, Papa aber mad scientist. Da geht etwas vor, im väterlichen Labor, etwas, das mit „Hirnnektar“ zu tun hat und mit zurückzugewinnender Jugend. Und warum haben die Kinder so seltsame Male an ihren Hinterköpfen? Ein Fall für Chance und Wendy Hale, zwei Jungdetektive von den „Lightbulb Kids“. Sie kommen auf die Insel, fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften – und mit ihren „kissing gloves“ Guy und seine Schwester zu verführen.

Wie die meisten Maddin-Filme entfaltet auch „Brand Upon the Brain!“ narkotische Wirkung, gebrochen von Maddins absurdem Humor in Bild und Wort. Viele der schattierten Einzelvignetten sind gar nicht ganz da, sie stottern und flackern in winzigen Schleifen, kürzer oft als eine Sekunde. Ein unverdaulich nervöses Bildstakkato, wäre da nicht Jason Staczeks romantisch-impressionistische Musik, die sich mit den Bildern zu einem gleitenden Fiebertraum verbindet.

Die Beigaben des Abends finden mit erstaunlicher Präzision zueinander, und jede ist schon für sich so reizvoll, dass man fortwährend in den Film hineingezogen wird und wieder herausgerissen: Allein die konzentrierte Arbeit der Geräuschemacher an ihren Gerätschaften ist verblüffend und oft unfassbar komisch. Dazu der irrlichternde Bildfluss mit seinen melo-sarkastischen Zwischentiteln, das ordentlich aufspielende VW-Orchester und natürlich die unvergleichliche Isabella Rossellini, in Anzug und Krawatte. Sie zelebriert ihren Akzent wie eine erhabene Zeremonien-Diva, kommentierend, erklärend und stets im Blickkontakt zum gut aufgelegten Festivalpublikum, das sie zum Komplizen macht bei der Ausrichtung eines unwiederbringlichen Filmvergnügens – an einem Festivalabend, bei dem es einmal nicht ums Werk ging oder ums abgeklärte Urteil, nicht um Preis- oder Marktchancen, Hype oder Geltung, sondern einzig um den magischen Augenblick, das Filmerlebnis selbst.

Heute 21.30 Uhr (Delphi), 18.2., 22 Uhr (Cubix 9); synchronisierte Fassungen

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