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Kultur: Historie zum Anfassen oder Pilgerstätte für Neonazis? (Kommentar)

Zur Erinnerung für alle, die eben erst in der Hauptstadt angekommen sind: Einen ähnlichen Bunkerfund auf dem Terrain des NS-Regierungsviertels, wie er jetzt zu Tage tritt, hat es vor neun Jahren schon gegeben. Positionen, wie sie bereits wieder im Begriff sind, sich zu diesem Thema zu formieren, hat man damals schon formuliert.

Zur Erinnerung für alle, die eben erst in der Hauptstadt angekommen sind: Einen ähnlichen Bunkerfund auf dem Terrain des NS-Regierungsviertels, wie er jetzt zu Tage tritt, hat es vor neun Jahren schon gegeben. Positionen, wie sie bereits wieder im Begriff sind, sich zu diesem Thema zu formieren, hat man damals schon formuliert. 1990 wurde der Schutzraum für Hitlers - naja, für seine Fahrbereitschaft ausgehoben. Ein Dokument menschlicher Popeligkeit, manifestiert in pennälerhaften Wandgemälden, welches kurz vor der drohenden "Wiedervereinigung" auch als Beweis funktionierte, dass - bis hin zum gammeligen Stiefel auf dem Heizungsrohr - der Untergang des sagenhaften Dritten Reiches tatsächlich stattgefunden hatte. Historie zum Anfassen! jubelten die einen. Keinen Wallfahrtsort schaffen! unkten andere. Obwohl die in dieser Woche ausgebuddelte Sechsmeterdecke des wahren einzigen Führerbunkers noch weniger historische Erkenntnisse verspricht als seinerzeit der Chauffeurs-Unterstand, geraten die gedenkpolitischen Obsessionen der Hauptstadtplaner sofort auf Touren.

Denn zwei Dinge haben sich seit 1990 in dieser Stadt, die angeblich stets Berlin bleibt, verändert. Einerseits gibt es jetzt den Parlamentsbeschluß, wenige Steinwürfe von Hitlers Underground-Decke entfernt ein Holocaust-Mahnmal zu bauen, was bereits Warnungen vor künftigen Neonazi-Attacken ausgelöst hat; man stelle sich einen Ausflug der Glatzen vor, die erst bei IHM einkehren, um dann ein paar Meter weiter Spraydosen zu zücken. Andererseits ist jetzt die Regierung physisch präsent, Geschichtsarbeit im Dunstkreis ihrer Büros gerät zum Bekenntnis. Schärfer spitzt sich die Frage zu, wie Kinder von Tätern und Opfern nebeneinander, miteinander gedenken können - und wen die Berliner Republik repräsentiert. Ob deren Kapitale zur versiegelten Neustadt mit integrierter Puppenstube wird oder zur didaktisch auftrumpfenden Geschichtsmeile, oder ob die ausgelagerte Erinnerung in einem Disneyland perfekter Repliken multimedial inszeniert werden sollte: Solche Alternativen denkt keiner zu Ende oder traute sich gar, sie zur Entscheidung vorzulegen.

Der verdruckste Hitler-Hype aber, wie er auftritt, wann immer ein von IHM kontaminierter Diary-Fetzen oder Betonbrösel auf den Medienmarkt gelangt, inspiriert nicht nur Gedenkpolitiker, er bedient mythologische Bedürfnisse. Die Geschichte des "Dritten Reiches" gehört zu jenen - irgendwie faszinierenden - "Großen Erzählungen" der Menschheit, auf die wir im postideologischen Zeitalter mehr oder weniger nostalgisch zurückblicken. ER ist der Showstar dieser apokalyptischen Story, obzwar der allerböseste, SEINE Reliquien werden zum Unterpfand einer sakral aufgeladenen Authentizität. Welch absurde Psycho-Situation (die anhalten dürfte bis zur nächsten "Großen Erzählung"): Tief unter der Erde liegt die Decke des Bunkers, wo ER starb, doch scheinen wir - irgendwie - selbst mit drinzusitzen und regelmäßig peinlich dran anzustoßen. Die Decke fällt uns auf den Kopf; die Show ist unsere Geschichte.

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