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Kultur: Historisch, politisch, gut

Marc Rothemunds Film „Sophie Scholl“ geht für Deutschland ins Oscar-Rennen, großer Favorit ist „Brokeback Mountain“

War das damals bloß das „Nazi-Ding“, wie es im Tagesspiegel vor drei Jahren schön messerscharf hieß, als Caroline Links Flüchtlings-Melodram „Nirgendwo in Afrika“ für den Auslands-Oscar nominiert wurde? Und hat gestern nur wieder „Triple-H“ – der trophäentechnisch todsichere Cocktail aus History, Hitler und Holocaust – dafür gesorgt, dass Marc Rothemund mit dem Widerstandsdrama „Sophie Scholl“ als Kandidat in Links Fußstapfen treten darf? Man bedenke, immerhin holte sie damals den ersten großen deutschen Film-Oscar seit Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“, mithin seit 23 Jahren.

Ja und nein. Die Nominierung für „Sophie Scholl“ mag wie der typisch amerikanische Belobigungsreflex für die Beschäftigung mit den finsteren Schlüsselreizen deutscher Geschichte erscheinen – ähnlich wie bei der „Blechtrommel“ oder dem sechsfach nominierten Kriegs-Epos „Das Boot“. Auch hatte die zwar geschichtsbewusste, doch eher greise Academy, als sie ungerührt an Wolfgang Beckers Welt-Hit „Good Bye, Lenin!“ vorbeispazierte, eindrucksvoll ihr Desinteresse an anderweitigen deutschen Themen bewiesen. Doch gleich sehen sich derlei Thesenbildungen wieder heftig erschüttert: Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“, mit Bruno Ganz als dem Nazi-Oberschurken höchstpersönlich, ist letztes Jahr bei den Oscars sehr, sehr leer ausgegangen.

Zyniker mögen sagen: Nazi-Opfer nehmen sie gern, die um einen gewissen Gruseleffekt in Tateinheit mit positiver Identitätsstiftung stets bemühten Hollywoodianer. Den ungewöhnlichen Blick auf die Täter aber meiden sie wie die Unschuldsengel das Höllenfeuer.

Vielleicht aber ist alles auch ganz anders. Vielleicht ist „Sophie Scholl“, dessen Nominierung die seit einigen Jahren konstante Weltmarkt-Form des deutschen Kinos eindrucksvoll unterstreicht, einfach ein packender, geradliniger, gut gemachter Film mit einer imponierenden Heldin – und Hauptdarstellerin. Ein historischer ganz gewiss, aus jener so gerne in Anspruch genommenen Epoche, aber in seinem Appell an individuellen Mut und Widerstandsgeist politisch fortwirkend. Vielleicht auch macht es sich die Academy nicht grundsätzlich immer so bequem, wie wir mitunter zu vermuten neigen. Da gibt es bei den Auslands-Oscars dieses Jahr etwa den starken Konkurrenten „Paradise Now“. Darin gehen der palästinensische Regisseur Hany Abu-Assad und sein israelischer Produzent das Wagnis ein, Selbstmordattentäter als durch späten Zweifel erschütterbare Menschen zu zeigen. Parteigänger jedweder reiner Lehren muss solche Grenzüberschreitungslust geradewegs in den temporären Wahnsinn treiben.

Überhaupt, aufregend offen – und aufregend politisch – verspricht diesmal die Oscar-Jagd zu werden, die in der Nacht zum 6. März ihr Ende findet. Mit Steven Spielbergs fünfmal nominiertem „München“ etwa hat die Academy einen weiteren Film über den Terrorismus auf den Schild gehoben, der nicht nur in Amerika eine heftige Deutungsschlacht ausgelöst hat; wie anders soll man die Nominierung verstehen denn als klares Signal im Sinne Spielbergs, einmal die politischen Gedankenschützengräben zu verlassen? Ebenso George Clooneys sechsmal nominierter „Good Night, and Good Luck“ (deutscher Kinostart: 6. April): Sein Film mag kein Meisterwerk kinematografischer Erzählkunst sein, aber ein einziger temperamentvoller Traktat für Zivilcourage und Bürgerfreiheit in den USA ist er allemal. Die Hymne auf den TV-Journalisten Edward R. Murrow, der mutig gegen die McCarthy-Kommunistenhatz der Fünfziger Jahre Front machte: Natürlich ist sie auch als Fanal gegen das immer repressivere – und regressivere – Amerika des George W. Bush zu verstehen.

Mag sein, dass am Ende weder „Sophie Scholl“ noch die beeindruckenden Polit-Filme dieses ansonsten schwächelnden Hollywood-Jahrgangs triumphieren. Das spräche für die langjährige Neigung der Academy, dem kollektiv Gefühlskompatiblen doch den Vorzug vor der noch so erfrischenden Provokation zu geben. So liegen etwa bei den Auslands-Oscars neben „Paradise Now“ auch ein italienisches Rührstück („La bestia nel cuore“) – und mit „Merry Christmas“ ein französisches mit deutscher Beteiligung – auf der Lauer; und in der Königsklasse thront, achtmal nominiert, Ang Lees „Brokeback Mountain“. Einiges spricht dafür, dass die schwule Cowboy-Lovestory, deren Protagonisten kurioserweise in den Kategorien Haupt- und Nebendarsteller antreten, trotz der dichten Konkurrenz obsiegen wird. Weshalb manche „Brokeback Mountain“, die Oscar-PR indirekt politisch nutzend, schon heute zum Homosexuellen-Befreiungsdrama ausrufen. Vielleicht ist er aber bloß ein guter Film?

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