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HIT Parade: Die Ärzte

Diese Woche auf Platz 3 mit: „Junge“

Bezeichnet man Männer ihres Reifegrades als Jungs, gilt das gemeinhin als Kompliment. Bela und Farin sind inzwischen Mitte 40, und auch Rodrigo steuert darauf zu. Sie könnten die Väter von Tokio Hotel sein. Doch die Fährnisse des Lebens scheinen keine Spuren zu hinterlassen, an ihnen und ihrer Spaßkapelle, deren Praxiseröffnung in Berlin-Spandau nun auch schon ein Vierteljahrhundert zurückliegt.

Die Ärzte sehen nicht aus, als ob sie sich selbst Botox verordneten. Der Grund für ihre einigermaßen faltenfreien Gesichter dürfte darin liegen, dass sie noch wissen, wie es sich anfühlt, jung zu sein. Dazu zählt nicht nur bübischer Habitus, sondern auch die Kenntnis etwa davon, dass männliche Heranwachsende ab dem 11. Lebensjahr allergisch auf die Anrede „Junge“ reagieren. Diese wird meist benutzt, um vorwurfsvolle elterliche Reden zu eröffnen. Zum Beispiel: „Wie du schon wieder aussiehst.“ Oder: „Ihr nehmt doch alle Drogen.“ Der Song ist eine Ansammlung solcher Textbausteine, unterlegt mit jenem Uptempo-Geschruppe, das Pubertisten jeden Alters zuverlässig erheitert.

Für die visuelle Umsetzung wählte die Band ein Jägerzaun-Wohnviertel in Hennigsdorf. Dort laufen die „Jungs“ genau so herum wie sie sich fühlen – und wie sie vielleicht auch von ihren hilflosen Erziehungsberechtigten gesehen werden: als Zombies. Am Ende werden die Jungsversteher selbst Opfer der Meute. Interessante Deutung: dass sie zerfleischt werden von den Geistern, die sie riefen. Aber geschenkt. In der „jugendfreien“ Version sind die Metzeleien verdeckt, einer der Zwischentitel sagt: „Das würde ich meinen Kindern nicht zeigen.“ Muss man auch nicht. Ralph Geisenhanslüke

Ralph Geisenhanslüke

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