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Kultur: Hoch hinaus und bunt gesprenkelt

Die Niederlande beginnen ihr „Themenjahr Architektur“. In Almere plant Rem Koolhaas eine Stadt auf neuem Grund

Die Niederlande sind stolz auf ihre zeitgenössische Architektur – und welch’ passenderen Ort könnte es geben, am heutigen Donnerstag das „Themenjahr Architektur und Design 2004“ vorzustellen, als den Neubau der Niederländischen Botschaft in Berlin!

Dessen Architekt, Rem Koolhaas, unterhält sein Büro mit dem bezeichnenden Namen „Office for Metropolitan Architecture“ (OMA) in Rotterdam. Doch nicht für die weltläufige Hafenstadt, sondern für die Retortengründung Almere entwarf er seinen bedeutendsten städtebaulichen Plan. Zumindest im Ausland so gut wie unbekannt, liegt Almere mittlerweile immerhin an achter Stelle der einwohnerstärksten niederländischen Städte. Dieses Jahr feiert die Kommune ihr 20-jähriges Bestehen. Nur fünf Jahre zuvor kamen die ersten Einwohner. Erst 1968 waren Grund und Boden dem Meer abgerungen worden, auf dem ihre Häuser entstanden. Mittlerweile sind es bis zu 1000 Bürger, die die Stadt monatlich hinzugewinnt.

Innerhalb der Niederlande am dichtesten besiedelt ist jener halbkreisförmige Ballungsraum, der von Utrecht über Amsterdam und Den Haag bis Rotterdam reicht: „Randstad Holland“. Mit dem Landgewinn des Ijsselmeerpolders sollte sich das Flächenpotenzial der Randstad nach Nordosten erweitern; die nächst gelegene Landfläche ist Flevoland, an dessen Südwestspitze das in mehrere Quartiere geteilte Almere liegt. Vom Amsterdamer Hauptbahnhof benötigt man exakt 21 Minuten bis zur „Centraal Station“ von Almere.

Anfangs war Almere nicht mehr als eine Schlafstadt. Die verheerenden Erfahrungen, die das übervölkerte Amsterdam in den siebziger Jahren mit seiner Großsiedlung Bijlmermeer im Südosten der Stadt machen musste, ließen Almere als Alternative im hollandtypischen Reihenhaus-Wohnen entstehen.

Doch Almere sollte eine richtige Stadt werden. Und niemand hat sich sich ausgiebiger mit Städten, und zwar gerade den nicht-historischen, wuchernden, den im wörtlichen wie übertragenen Sinne auf schwankendem Grund emporschießenden Städten befasst als der Rotterdamer Architekt, Stadtplaner und Theoretiker Rem Koolhaas. So, wie er seinen Botschaftsneubau in Berlin als „Stadt in der Stadt“ konzipiert hat, sollte er für das zentrale Quartier von Almere einen Masterplan entwerfen, der die widerstreitenden Anforderungen von Wohnen, Arbeiten und Erholung, von Verdichtung und Entflechtung, des Idyllischen und des Urbanen vereint.

2006 sollen das Stadtzentrum fertiggestellt und 1,1 Milliarden Euro verbaut sein. Almere-Stadt, das Kernquartier der zerfransenden Kommune, folgt einer geläufigen Form neuzeitlicher Stadtentwicklung: Zwischen dem Bahnhof und dem Binnensee „Weerwater“ verläuft eine Entwicklungsachse mit Fußgängerstraße und Einkaufszeilen, begleitet von parallelen Autostraßen und Bürohäusern. Dieser Mittelstadts-Dutzendware setzt Koolhaas, der aus einem Wettbewerb von 1994 als Sieger hervorging, Verdichtung in gewollt unregelmäßigen Formen entgegen: Da erhebt sich direkt am Wasser ein kantiger, auskragender Wohnturm des Büros Claus en Kaan, neben dem das Theater der Japanerin Kazuyo Sejima und das von Stelzen durchzogene Musikzentrum des Engländers William Alsop eine deutliche Uferpromenade markieren. Im Stadt-„Inneren“ sieht Koolhaas eine ganze Armada weiterer Hochhäuser vor, für Wohnen und Büros, ist doch die Schaffung von Arbeitsplätzen im hochwertigen Dienstleistungsbereich die Konsequenz aus der Entscheidung, Almere zur – wie sie sich selbst anpreist – „kompletten“ Stadt auszubauen.

Was bislang gebaut wurde, zeigt AlmereStad als Experimentierfeld jener wagemutigen Architektur, für die die Niederlande seit Jahren berühmt sind. Ein mächtiger Bürokubus von Winy Maas (vom Jungstar-Büro MVRDV, die bei der Expo 2000 Hannover mit ihrer „geschichteten Landschaft“ Furore machten) macht deutlich, dass es mit der Kleinteiligkeit vorbei ist. Auf der anderen Seite des die Stadt doch arg zerteilenden Bahnhofs schimmert eine grünliche Vorhangfassade vor dem „WTC-Alnovum“-Bürogebäude von Benthem Crouwel.

Ein wenig weiter kommen zwei ovale Apartmenthäuser von Groosman en Partners als „Stadtvillen ,Le Président’“ daher. Bei einem solchen Namen bietet sich dunkler Backstein für die Fassaden an. Ansonsten greifen die Architekten gerne zu Orange oder Leuchtgrün, wenn sie nicht gleich im Tageslicht regenbogenfarbig changierende Glaselemente verwenden wie Ben van Berkel/UN Studio in den offenen Höfen ihres brandneuen, ineinander verschachtelten Bürogebäudes „La Défense“.

Aller Avantgarde ungeachtet leben die Almerer überwiegend in konventionellen Häusern, einzeln oder in Reihe, wie ein Blick auf die lokalen Immobilienangebote beweist. Aber durchaus auch im Almere’schen Nebeneinander von Wagemut und Beharrungsvermögen zeigt sich, wenn man Rem Koolhaas folgt, die Dynamik alles Städtischen.

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