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War früher Banker. Der Autor Alexander Schimmelbusch

© Annette Hauschild/Ostkreuz/Verlag

"Hochdeutschland" von Alexander Schimmelbusch: Victors viertes Reich

Polit-Groteske oder Wunschfantasie? Alexander Schimmelbusch will mit seinem Roman „Hochdeutschland“ eben dieses Land vor dem Untergang retten.

Zwei Dinge kennzeichnen die Männerfiguren in Alexander Schimmelbuschs Werken: Sie sind meist Vertreter der Wirtschaftseliten. Und sie haben eine Vorliebe für Fellatio. Wie Victor, der Held von Schimmelbuschs neuem Roman „Hochdeutschland“, seinem bislang viertem. Victor leitet mit zwei Partnern die fiktive Birken Bank. Und lässt sich nach erfolgreichem Geschäftsabschluss am liebsten von den zarten Frauenlippen einer polnischen Masseurin im Spa des Berliner Hotel Adlon verwöhnen.

Diesmal gibt es für den Blowjob einen besonderen Anlass. Victor konnte den deutschen Finanzminister von einem Mega-Deal überzeugen, der die Birken Bank in ganz neue Sphären hieven wird. Es ist das Jahr 2017, die Bundestagswahlen stehen vor der Tür; im Kanzleramt wird wie in der Realität lustlos vor sich hingemerkelt, aber der Minister, der davon träumt, mit einem Ferrari durch Mailand zu brausen, ist offenkundig fiktiv.

Victor ist im M&A-Geschäft tätig, und mit „Mergers & Acquisitions“, Fusionen und Übernahmen, hatte auch Alexander Schimmelbusch jahrelang als Berater einer Investmentbank in London zu tun. Um dieses zuletzt eher dahinsiechende Geschäft wiederzubeleben, lässt er seinen Helden einen Plan schmieden, der jedem Wirtschaftsliberalen den Angstschweiß auf die Stirn treiben dürfte: Die seit Kohl-Zeiten über die öffentlichen Vermögen dahinrollende Privatisierungswelle soll ab jetzt die Gegenrichtung einschlagen. Angefangen mit einem Pumpspeicherkraftwerk am Schluchsee, das Jahre zuvor von einem deutschen Energieversorger an US-Investoren verhökert wurde, unter Victors Regie übrigens, und das nun also verstaatlicht werden soll, mit Hilfe der Birken Bank natürlich.

Es geht hier um ein "radikales Projekt" zur Einigung des Volkes

Denn „wenn man sich mal einen Standpunkt erlaubte“, so Victor, sollte eine solche Anlage natürlich im Besitz der Bundesrepublik sein und nicht in dem von irgendwelchen „Silikonwitwen aus Florida“. Entpuppt sich Schimmelbuschs zwischen Geschäftstriumph, Größenwahn und Midlifecrisis pendelnder Banker somit als verkappter Linker, der sich tief im Innern ums Gemeinwohl und die zunehmende „soziale Undurchlässigkeit“ sorgt? Schimmelbuschs Roman behauptet nicht weniger, als dass sich beides zum Wohl aller vereinigen lässt – und zwar unter nationalistischen Vorzeichen.

Schließlich geht es Victor um Deutschlands Zukunft. Und eben nur um diese; Europa oder die EU kommen in seiner Gedankenwelt praktisch nicht vor. Das wird vor allem in einem folgenreichen Manifest von ihm deutlich. Darin skizziert er ein „radikales Projekt …, um das deutsche Volk zu einen“. Mittels einer Revolution von oben soll es sich gegen die Übermacht aus China und den USA behaupten können. Dazu nur so viel: Der „Obergrenze“ kommt eine Schlüsselrolle zu, doch geht es dabei nicht um Zuwanderungsquoten, sondern um die Maximalhöhe von Privatvermögen, für die Victor großzügige 25 Millionen vorschlägt (er selbst besitzt etwa das Zehnfache). Alles darüber hinaus soll via Enteignung „in den Dienst nationaler Interessen“ mittels eines Staatsfonds fließen, während die selbstlosen superreichen Eliten für ihr Opfer von der dankbaren Nation das „Kirschblütenkreuz“ erhalten.

Das Schlusskapitel verrät, wie Victors Masterplan den Lauf der Geschichte verändern wird. Anstelle des monatelangen Gezerres um eine neue Regierung wird sein bester Freund Ali Osman, Erbe eines Berliner Döner-Imperiums, zum Gründer einer populistischen Bewegung und Merkel-Nachfolger; Victor selbst wird die GINA leiten, die German Investment Authority, das neue „Bollwerk gegen die Sturmfluten der Globalisierung“. Denn für den auf „diese Jahre“ zurückschauenden allwissenden Erzähler des Romans sind Victors Ideen alle längst Realität: Deutschland ist im 21. Jahrhundert sozusagen wiedererwacht und endlich wieder Weltmacht, „atomare Interkontinentalraketen vom Typ ,Walhalla’“ inklusive.

Handelt es sich um eine Dytsopie? Leider fehlt es an sprachlicher Gestaltungskraft

„Hochdeutschland“ entpuppt sich somit als Zukunftsroman. Aber handelt es sich um eine Dystopie? Oder nicht doch um eine klammheimliche Wunschfantasie? Oder soll der Roman eine Polit-Groteske in AfD-Zeiten sein? Eine ironische Masturbationsvorlage für Elitismus-Vertreter? Man weiß es nicht, und diese Unentschiedenheit ist das Problem. Sie unterscheidet „Hochdeutschland“ auch von „Kraft", dem letztes Jahr gefeierten Roman des Schweizer Autors Jonas Lüscher, in dem ebenfalls ein Geläuterter an den gesellschaftszersetzenden Folgen des Neoliberalismus laboriert.

Von „Kraft“ trennt Schimmelbuschs Roman nicht zuletzt die mangelnde sprachliche Gestaltungskraft. Sicher, in Victors Verstand blubbert ein amüsant-eindrucksvolles Durcheinander aus einschlägigen Buzzwords und den seit Bret Easton Ellis & Christian Kracht für Protagonisten dieses Schlages obligatorischen Markennamen, vom Burmester-Raumklangsystem in Victors Porsche bis hin zu der seine Sieger-„Beule“ verbergende Zegna-Hose. Doch klebt in Schimmelbuschs Satzgirlanden Relativsatz an Relativsatz, von der Adjektivitis und den konstruierten Dialogen zu schweigen.

Zumal bei der Handlung nur der anstehende, aber rasch abgehakte Pitch beim Minister in der ersten Romanhälfte für Spannung sorgt. Die Stärken von Alexander Schimmelbuschs Romans liegen eher im Detail: in der amüsanten Beschreibung der Begrüßungsrituale männlicher Alphatiere etwa. Oder in der von den Arbeitsverhältnissen in Investmentbanken, die ihre Rekruten erst von der Wolk-Life-Balance träumen lassen, um sie schließlich auf Nimmerwiedersehen in ihre „Sklavenkolonien mit Ketten aus Bonuszahlungen“ zu schicken. Oliver Pfohlmann

Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland. Roman.Tropen Verlag, Stuttgart 2018.214 Seiten, 20 €.

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