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Kultur: Höhenflüge

Die Contemporary-Versteigerungen von Christie’s und Sotheby’s in London lassen die Auktionshäuser wieder hoffen. Das Licht entzündete Gerhard Richters „Kerze“ für 10,5 Millionen Pfund

Der Kunstmarkt hängt vom Vertrauen ab und vom Vertrauen in das, was die Anderen tun. Das sah man während der Londoner Frieze-Woche, in der Sammler und Händler erst die Kunst und dann sich gegenseitig ins Auge fassten. Mit bangem Gefühl angesichts der Weltwirtschaftslage war man angetreten. Aber dann konnte das Auktionshaus Phillips de Pury in der ersten Contemporary Auktion der Woche gerade so das Schlimmste vermeiden, die Aktienmärkte fassten wieder Tritt, und nach zögerlichem Beginn sickerten die ersten Verkaufsmeldungen aus dem Messe-Zelt am Regent’s Park. Später, bei Sotheby’s fassten auch die Sammler und Händler dann bei der glänzenden Versteigerung einer norditalienischen Familiensammlung erneut Mut. Als die Woche bei Christie’s endete, war das Vertrauen vollends wieder hergestellt.

Hier war das Glanzlicht der Rekordpreis von 10,5 Millionen Pfund für Gerhard Richters „Kerze“, die drei Telefonbieter noch über Christie’s ohnehin hohe Taxe hinaus steigerten. Die bisher teuerste Kerze, 2008 für acht Millionen Pfund verkauft, war größer und als Titelbild für ein „Sonic Youth“ Album bekannt geworden. Was würde nun das Großformat „Drei Kerzen“ kosten, das größte der 27 Kerzenbilder, das 2001 zuletzt für damals schon hohe 5,4 Millionen Dollar versteigert wurde? „Richter ist nur einer, der Fotos abmalt“, kommentierte der altgediente Impressionistenhändler Thomas Gibson. Aber die Kunstberater puschten den Künstler weiter. Eine Abstraktion von 1992 brachte 3,6 Millionen Pfund, eine kleine Abstraktion verdoppelte die Schätzung mit über einer Million Pfund (1,2 Mio. Euro).

Qualität und Dichte des Angebots spielte die wichtigste Rolle bei Christie’s, wo man sich bei der Akquise mit Garantien bzw. Preisvorschüssen für acht der 51 Lose weit vorwagte. „Qualität verkauft sich eben“, schmunzelte Christie’s-Chef Steven Murphy, als er die Gratulationen entgegennahm. Es war, wie Kunstinvestor Philip Hoffmann vom Fine Art Fund vorausgesagt hatte: „Geld fließt in das oberste Segment des Marktes.“ Der Markt blieb selektiv, denn das Herbstangebot ist reichlich. Nach der Frieze kommt diese Woche die Pariser FIAC, in zwei Wochen beginnen die New Yorker Auktionen – die Gesamteinnahme von 124 Millionen Pfund für das Londoner Auktionsangebot ist damit ein sehr starkes Ergebnis.

Christie’s Auktion begann fulminant, als Philippe Segalot, der Kunstberater von Christie’s-Chef François Pinault, Martin Kippenbergers durch eine Wanddecke „gewobene“ Laterne für 1,3 Millionen Pfund ersteigerte – dabei waren nur 350 000 Pfund angesetzt. Antony Gormleys 5,34 Meter-Version des „Angel of the North“ schaffte einen Rekordpreis von 3,4 Millionen Pfund (Taxe: 1,5-2 Mio. Pfund). Maurizio Cattelan war erfolgreich – vielleicht weil er 51-jährige Spaßvogel der Gegenwartskunst ankündigte, er wolle nach der kommenden Retrospektive des Guggenheim in Ruhestand gehen. Sein an Fahnenmasten „aufgehängter“ Junge, zuerst 2004 in Sevilla gezeigt, brachte 1,05 Millionen Pfund. Noch heftiger wurde auf „Hollywood“ geboten, ein vier Meter messendes Foto von einer Aktion 2001. Statt der taxierten 40 000 bis 60 000 Pfund brachte es 337 250 Pfund.

Die Rehabilitation von Damien Hirst nach dem Preiscrash wird nun auch von der Aussicht auf die Retrospektive der Tate Modern im nächsten Jahr beschleunigt. Von 28 in den Londoner Auktionen angebotenen Werken wurden 22 verkauft, den Toppreis erzielte der Rinderkopf in Formaldehyd aus der Serie der „12 Jünger“ mit 993 250 Pfund. Phillips de Pury verkaufte ein Kirchenfenster mit Schmetterlingen für 780 450 Pfund und ein großes Spot-Painting für 690 850 Pfund an anonyme Telefonbieter. Aber die Preise liegen weiterhin unter dem Niveau von 2008. Das goldgrundige Schmetterlingsbild, damals 825 000 Pfund wert, ging nun für 601 250 Pfund an einen israelischen Sammler.

Weich blieb der Markt von Richard Prince, dessen „Nurse Forrester’s Secret“ bei Christie’s scheiterte. Das Cowboy-Foto wurde unter der Taxe für 993 250 Pfund verkauft. Deutsche Kunst verkaufte sich auch in der Tagauktion mit guten Ergebnissen. Vor allem zwei große Gemälde von Matthias Weischer fielen auf, die ihre neuen Besitzer für für 145 259 und 193 250 Pfund fanden.

Christie’s verzeichnete am Ende nur elf Prozent Rückgang (Gesamteinnahme aller Auktionen: 65 Millionen Pfund). Bei Sotheby’s waren es noch 20 Prozent, und das Gesamttotal betrug 46 Millionen Pfund. Hier wurde manches unter Schätzung verkauft, auch das 1952 gemalte, 22 mal 16 Zentimeter kleine Ölporträt eines Arbeiterjungen von Lucian Freud gewann nicht richtig an Höhe und wurde an die Acquavella Galerie für die untere Schätzung von 3,2 Millionen Pfund verkauft. Händlerin Pilar Ordovas bezahlte einen Rekordpreis von 690 850 Pfund für Leon Kossoffs „Street in Willesden“, eine Gouache von Cy Twombly verdoppelte den Preis auf 601 250 Pfund.

Die internationaler Kunst stand hier im Schatten einer Italienofferte, die mit 22 Millionen Pfund Rekordhöhe erreichte. Kern waren 34 Werke aus der Sammlung Serena Corvi Mora, anonym verkauft von der Familie des Londoner Kunsthändlers Tommasso Corvi Mora. Star war eine „Combustione legno“ von Alberto Murri (1957), geschätzt bis 1,2 Millionen Pfund und zum Rekordpreis von 3,2 Millionen verkauft. Aus anderer Einlieferung stammte ein früher Marino Marini „Cavaliere“ von 1951, der 2,6 Millionen Pfund einspielte.

Bonhams und Phillips de Pury hatten es schwer, sich durchzusetzen. Als Spitzenlos konnte Phillips de Pury Jeff Koons „Seal Walrus Trashcans“ aus der „Popeye“ Serie verkaufen, zu deren Leitmotiven aufblasbares Schwimmspielzeug gehört, aus Bronze dauerhaft nachgebildet. Bei der Basler Messe wurde das Werk für fünf Millionen Dollar angeboten und nun für 3,3 Millionen Dollar verkauft.

Bonhams hatte Pech mit seiner ersten Contemporary Auktion. Alighiero Boetti „1984“ mit seinen 216 säuberlich abgezeichneten Magazin-Titelseiten blieb unverkauft – an der angemessenen Schätzung von 1,2 bis 1,8 Millionen Pfund kann es nicht gelegen haben. „Wir haben viele Museen angeschrieben, sie haben aber kein Geld“, klagte Bonhams Contemporary Chef Antony McNerney. Er setzt auf das nächste Mal.

Matthias Thib

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