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Kultur: Höher springen!

Wie bitte, Sie kennen Martin Schläpfer nicht? Mein Beileid.

Wie bitte, Sie kennen Martin Schläpfer nicht? Mein Beileid. Bis letzten Samstag kannte ich ihn auch nicht, das heißt, ich wusste, dass er Schweizer ist und mit Tanz zu tun hat, aber das war’s. Jetzt weiß ich, dass Schläpfer 1959 im Appenzell geboren wurde, mit 17 den Prix de Lausanne gewann, als Tänzer so hoch sprang, dass alle Angst hatten, er komme nicht heil wieder herunter, dass er in Bern Ballettchef wurde, ohne zuvor eine einzige Choreografie gemacht zu haben, dass er Kühe liebt und Musik von Ligeti – und seit fünf Jahren am Mainzer Theater arbeitet. Die Kompagnie, heißt es, „brenne“ seither.

Das ist schön, aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass Martin Schläpfer mein Leben verändert hat. Seit drei Tagen brenne ich auch. Es ist mir ganz egal, was dieser kolossale Künstler als nächstes macht – ich muss es sehen. Hinter der brillanten Oberfläche seiner Abende, hat ein Tanzkritiker einmal geschrieben, schlummere stets „die Ahnung des Abgrunds“. In diesen Abgrund muss ich schauen. Ich will diesem Besessenen nahe sein, der so sanft spricht, nein: singt wie kein anderer Mann, der ausschaut wie Kasperle, wenn er lacht, und der prustet wie ein Walross, wenn er sich und seine Tänzer auf der Probe in Trance versetzt. Schöpfen aus der Schwerkraft. Exaltierte Flug-Körper. Sehnsucht nach dem Schwierigen.

„I’m a little bit of a maniac“ übrigens hieß Dieter Schneiders und Timo Amlings feine TV-Dokumentation über Martin Schläpfer. Gesendet auf 3sat, an jenem schicksalhaften letzten Samstag. Reingezappt. Vom Blitz getroffen. Glück gehabt.

Christine Lemke-Matwey

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