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Kultur: Höllenfahrt mit Medusa

Katrin Kampmanns Alltagsszenarien bei schultz

Eigentlich liegen sie gemütlich vor dem Fernseher, der junge Mann und die Frau, deren Schenkel er zärtlich umfasst. Er lässig in T-Shirt und Jeans, sie im orangefarbenen Mini und grünen Top, ganz im Hier und Jetzt. Doch Ereignisse aus vergangenen Zeiten scheinen die Idylle mit Flachbildschirm einzuholen. Innig lächelnd wendet sich das Paar vom Monitor ab, wo die Gorgonen ihre Schwester gerade grimmig ermuntern: „Medusa, komm: Wir machen ihn zu Stein!“

Das ist der Titel, den Katrin Kampmann ihrer scheinbar harmlosen Darstellung (5800 €) gegeben hat. In den Alltagsszenarien der 1979 geborenen Malerin und ihrer fröhlich poppigen Farbpalette lauert eine Sprengkraft, der Kampmann mit beiläufig eingestreuten Zeichen oder hintergründigen Titeln Zunder gibt. „Die einfache Explosion“ heißt die Ausstellung, und in dem gleichnamigen Bild (5800 €) assoziiert die Menora im heimischen Bücherregal den Nahost-Konflikt.

Explosiv und kräftig ist auch Kampmanns Farbgebung. Magenta und Grün, Gelb, Orange oder Hellblau beherrschen die Leinwände, und der Begriff farbgewaltig wäre untertrieben: Eine rauschhafte Farbwut schliert und tropft und prallt einem entgegen. Schnell und heftig aufgetragen, mit Öl und Acryl, Pinsel, Rakel und Spritzpistole oder wie mit dem Farbbeutel geworfen, ergänzt von Monotypien oder Linoldrucken.

Die Meisterschülerin von K. H. Hödicke mixt die Malmittel und Stile mit lockerer Hand, wechselt souverän zwischen Realismus und Abstraktion. Aus ihrem expressiven Duktus erwachsen Alltag und Magie, Science -Fiction und Mythologie speisen ihre Bilderwelt. Drachen und Fantasy-Wesen begleiten die jungen Paare, die im Wohn- und Arbeitszimmer, im Universum oder in geheimnisvollen Waldlandschaften gleichsam zu Hause sind. Das Gemälde „Höllenfahrten und Jenseitsreisen“ (12 000 €) gibt den Blick auf eine solche Waldgegend frei, die allerdings bei genauem Hinsehen hoch über den Wolken angesiedelt ist und durch ein regenbogenartig gebatiktes Tor in Dantes Vorhölle führt.

Kampmanns Figuren wirken realistisch, haben aber keine individuellen Züge. Es sind Menschen, denen sie mit Gesten, einer Bewegung oder Haltung persönliche Nuancen verleiht. Bei aller sympathischen Nähe wirken sie verstörend. Während die Künstlerin in der Raumgestaltung die Farben krachen lässt, Innen- und Außenwelt, mediale Allgegenwart und menschliche Einsamkeit kompiliert, lässt sie Haut und Gesichter ihrer Figuren im unheimlichen Weiß von Neutralmasken strahlen. Plötzlich wirken sie nicht mehr jung, sondern wie Archetypen, die uralte Geschichten neu erzählen. Michaela Nolte

schultz contemporary, Mommsenstraße 34; Eröffnung: heute, 19 Uhr, bis 21. Februar, Di- Fr 10-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr.

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