zum Hauptinhalt

Kultur: Höllenhimmel

Selbst Beethovensche Bagatellen waren ihm keine unbedeutenden Kleinigkeiten.Auch bei Opus 119 und 126 entdeckte Maurizio Pollini während seines Klavierabends in der Philharmonie den ganzen gegensätzlichen Ausdrucksreichtum Beethovens in der Miniatur.

Selbst Beethovensche Bagatellen waren ihm keine unbedeutenden Kleinigkeiten.Auch bei Opus 119 und 126 entdeckte Maurizio Pollini während seines Klavierabends in der Philharmonie den ganzen gegensätzlichen Ausdrucksreichtum Beethovens in der Miniatur.Zunächst gingen ihm die klavieristischen Kleinigkeiten aus Opus 119 allerdings nicht leicht von der Hand, hatte er mit der Materie zu kämpfen, ging allerhand daneben, produzierte er durch übermäßigen Pedalgebrauch Klangnebel.Das tat Beethoven und dem Publikum nicht gut.Da mußte das obligatorische Singen manche Linie verdeutlichen.Bei den danach gespielten Bagatellen Opus 126 engagierte sich Pollini stärker.Da brachten ihn Beethovensche Widerspenstigkeiten erst in Fahrt.Bei der Numero VI - Presto-Andante amabile - wechselten kleine Höllen- und Himmelfahrten beunruhigend einander ab.Das war der fesselnde Auftakt zu den anschließend grandios musizierten Diabelli-Variationen Opus 120.Da hielten uns die konträrsten Klangsphären, das spielerisch Aggressive, das traumhaft Poesievolle oder am Schluß das ätherisch Zarte pausenlos in Atem.Bei diesem Gipfelwerk der Klavierliteratur legte er rundum eine alles hinwegfegende Elementarkraft und geistreich auf die Spitze getriebene, kühne Artistik an den Tag.Die Palette seines dynamischen Anschlags reichte vom fast tonlosen Pianissimo bis zum explosiven Fortissimo, und dabei entwickelte sich eine Variation bruchlos aus der anderen, wuchs das musikantisch Ausgelassene, das spielerisch Wilde, Anmutsvolle und Hintergründige zu einem fast unerklärlichen Ganzen zusammen.Beethovens ergreifende Bach-Schau, Beethovens Selbstzitate oder sarkastische Anspielungen auf Mozarts Leporello-Arie "Keine Ruh bei Tag und Nacht" brachte Pollini unter einen bis zum äußersten gespannten Bogen.Auch da verrutschte mancher i-Punkt, war manche gestalterische Überakzentuierung zu bemerken - dem ungemein weitgestaffelten Interpretationsprozeß, der geistigen Hochspannung, in der dieser Beethoven abrollte, konnte das nichts anhaben.Zumal bei aller scharfen Pointierung die Variabilität des Stillen, Subtilen, überhaupt die Konzentration so außerordentlich war, daß man es in der großen Philharmonie gehört hätte, wenn die berühmte Stecknadel zu Boden gefallen wäre.Das Abenteuer Beethoven kam herüber.

ECKART SCHWINGER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false