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Hör BÜCHER: Geister, fliegt herbei!

Nein, es hilft alles nichts, an der „Bibliothek der Autoren – Erzählerstimmen“ (Der Hörverlag, 2012) kommt man einfach nicht vorbei. Und obwohl ich einen Horror vor solchen Rieseneditionen habe – eine Laufzeit von 56 Stunden und 20 Minuten heißt ja umgerechnet nichts anderes als eine Stillsitzzeit von sieben vollen Arbeitstagen –, in dieser von Christiane Collorio, Michael Krüger und Hans Sarkowicz herausgegebenen Sammlung werden Hörproben der deutschsprachigen Literatur in derart feinen, homöopathischen Dosen verabreicht, dass es eine Freude ist und man gar nicht merkt, wie die Zeit dabei vergeht.

Nein, es hilft alles nichts, an der „Bibliothek der Autoren – Erzählerstimmen“ (Der Hörverlag, 2012) kommt man einfach nicht vorbei. Und obwohl ich einen Horror vor solchen Rieseneditionen habe – eine Laufzeit von 56 Stunden und 20 Minuten heißt ja umgerechnet nichts anderes als eine Stillsitzzeit von sieben vollen Arbeitstagen –, in dieser von Christiane Collorio, Michael Krüger und Hans Sarkowicz herausgegebenen Sammlung werden Hörproben der deutschsprachigen Literatur in derart feinen, homöopathischen Dosen verabreicht, dass es eine Freude ist und man gar nicht merkt, wie die Zeit dabei vergeht. Deutschlehrern kann ich das nur heiß ans Herz legen. Mit diesem Arbeitsmaterial ist noch jede Schulstunde zu retten, hier beginnt Literatur wirklich zu sprechen.

Es gibt ja Autoren, hört man sie einmal lesen, wird man bei jeder Lektüre ihrer Bücher zugleich auch deren Stimme hören: Jurek Becker ist so ein Beispiel. Unmöglich, und sei es auch nur annähernd, einen Überblick zu geben. 183 Autoren sind in dieser Edition vertreten, und jede einzelne Stimme zählt. Probehalber greife ich Schuber 1 heraus – und gleich das ist ein Glücksgriff! Auf den hier versammelten 6 CDs hört man Autoren der Jahrgänge 1856 bis 1899, Stimmen aus dem Geisterreich der Tonarchive also, es ist wie eine Séance. Nach einer gewissen Zeit wirkt das Rauschen dieser alten Aufnahmen auf den Hörer geradezu berauschend.

Sigmund Freud macht den Anfang. In dieser einzigen von ihm erhaltenen Ton-Aufnahme berichtet er 1938 einem Reporter der BBC in Deutsch und Englisch von seinem beruflichen Werdegang. Es folgt Gehart Hauptmann mit einem Ausschnitt aus seinem autobiografischen Roman „Das Abenteuer meiner Jugend“.

Hört man Hauptmanns Stimme, denkt man unwillkürlich an jene schicksalhafte Begegnung im Jahre 1923, als Thomas Mann Hauptmann in Bozen traf. Mann war damals, wie er es später bekannte, „in einem Zustande herabgesetzter menschlicher Zurechnungsfähigkeit“, das heißt: Er schrieb gerade an einem Roman. Für die im „Zauberberg“ schon lange geplante Figur des Mynheer Peeperkorn fehlten ihm noch die Gestalt und, vor allem, ein Klang. Da hörte der schöpferisch krisengeschüttelte Autor Hauptmanns Stimme und seine sehr spezielle Sprechweise – und das Problem war im Handumdrehen für ihn gelöst. Hier erfährt man en passant also auch gleich, wie Peeperkorn in Thomas Manns Ohren geklungen haben muss.

Bei der Schnitzler-Aufnahme aus dem Jahre 1907, einer der ältesten dieser Edition, drehen sich Spulen im Studio und, ganz am Anfang, laufen unsichtbare Schritte durchs Hörbild. Die technische Unzulänglichkeit dieser Aufnahme kann nur durch höchste Konzentration beim Zuhören kompensiert werden. Ernst Barlach trennt ordentlich, auf sehr norddeutsche Weise das s und das t – und das tut denen hier gar nicht weh, vielmehr leuchtet es den regionalen Hintergrund seiner Literatur aus. Beim Lesen wird einem das nicht immer so präsent sein. Ein Umstand, auf den auch Michael Krüger in seinem Begleitessay verweist: Man kann hören, wo einer herkommt.

Roda Roda nun wiederum klingt wie ein Stimmimitator von Marcel Reich-Ranicki, aber gegen seine Texte selbst ist natürlich nichts zu sagen, im Gegenteil. Das rauschende akustische Fest in diesem ersten Schuber wird unter anderem vervollständigt durch Polgar, Kraus, Döblin, Karl Valentin und Max Brod, Hermann Broch und Heimito von Doderer. Ganz nebenbei kann man hier auch Bildungslücken schließen. Zwar kannte ich den etwas salopp klingenden Titel von Ernst Tollers „Hoppla, wir leben!“, doch wusste ich bisher gar nicht, was sich eigentlich dahinter verbirgt. Jetzt habe ich immerhin einen ersten Eindruck davon.

Wenn man am Ende bei Schuber 8 und in unserer Gegenwart angelangt ist, und zwar bei Clemens Meyer, Jahrgang 1977, der mit einer Lesung seines fulminanten Textes „German Amok“ von 2010 vertreten ist, dann wird man, kein Zweifel, eine faszinierende Reise duch die vielstimmige Klangwelt der deutschsprachigens Literatur hinter sich haben, an die man noch lange zurückdenkt.

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