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Hör BÜCHER: Zu Gast beim Weltgewissen

Götz Alsmann, jener aufsehenerregende Herr mit der verwegen überdimensionierten Haartolle, Kassenbrille, Einstecktuch und Fliege, ist bekennender Sammler von Herrenmagazinen der fünfziger Jahre: „Gondel“, „Paprika“ oder „Neue Wiener Melange“ – so heißen die bunten, teilweise noch schwarzweißen Blätter, die er auf Flohmärkten aufgelesen hat. In der Adenauerzeit war der Verkauf an Jugendliche verboten.

Götz Alsmann, jener aufsehenerregende Herr mit der verwegen überdimensionierten Haartolle, Kassenbrille, Einstecktuch und Fliege, ist bekennender Sammler von Herrenmagazinen der fünfziger Jahre: „Gondel“, „Paprika“ oder „Neue Wiener Melange“ – so heißen die bunten, teilweise noch schwarzweißen Blätter, die er auf Flohmärkten aufgelesen hat. In der Adenauerzeit war der Verkauf an Jugendliche verboten. Heute, im Zeitalter des Internet, würden Jugendliche derlei Journale, in denen die gute Sitte im Dauerclinch mit dem allgegenwärtigen Laster liegt, nur mitleidig belächeln. Diese Magazine sind ebenso aus der Mode wie das Wort, mit dem ihr Inhalt und vor allem ihre seinerzeit offenherzigen Fotos bezeichnet worden sind: „frivol“.

Unter dem Titel „Herrenabend“ (tacheles/Roof Music, 2010) gibt es nun den Mitschnitt einer öffentlichen Veranstaltung vom März 2010, bei der Alsmann im Kölner Theater am Tanzbrunnen eine Blütenlese seiner Sammlung vorgestellt hat. Zu den schummerig wimmernden Klängen eines Vibrafons steigt man beklommen hinab in den Mief der fünfziger Jahre, wird darüber aufgeklärt, ob „die Französin“ tatsächlich leichtfertig ist, was es mit der Aktaufnahme oder mit der Venus und dem Möbelfabrikanten auf sich hat. Man ringt in dieser stickigen Atmosphäre förmlich nach Luft. Das ist durchaus beabsichtigt.

Geistesgeschichtlich ist das hochinteressant: Wenn von Doppelmoral die Rede ist, muss es damals doch immerhin so etwas wie einen Moralbegriff gegeben haben. Und die hier oft strapazierten Begriffe „Anstand“ und „gute Sitte“ scheinen in unserer, erfolgreich die letzten Schamgrenzen überwundenen Zeit völlig obsolet zu sein. Ethnologisch ist diese Exkursion in die mentale Steinzeit der Bundesrepublik allemal zu empfehlen – ansonsten: Geschmacksache. Das Publikum in Köln hat sich jedenfalls prächtig amüsiert. Ich persönlich habe es wieder einmal mit der Angst zu tun bekommen vor dem Land, in dem ich lebe.

„Deutschland: sehr gut. Wir sind viel besser, als wir denken“ (Steinbach Sprechende Bücher, 2010) hört sich zwar verdächtig nach einem Werbespot der Bundesregierung an. Trotzdem leuchtete mir der Impetus der Autoren Christian Schlesiger und Marcus Werner zunächst sehr ein: Übergroßer Selbsthass, den man oft bei uns beobachten kann, und maßlose Eigenliebe sind vom selben Stamm der unkontrollierten Gefühle, sie neigen zu gefährlichen Ausbrüchen. Warum es also nicht einmal mit einem ausgewogenen Blick auf das eigene Land versuchen? Die Windräder auf dem Cover weisen den Weg: Umweltschutz, grüne Technologien, die Fußball-WM unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Manchmal allerdings werden diese frohen Botschaften allzu glucksig gut gelaunt von Marcus Werner verlesen. Man erfährt auch, warum Deutsche im Ausland derart beliebt sind. Das mag statistisch so sein. Im Inland, speziell bei mir, sind sie es weniger.

Vor allem dann nicht, wenn im dritten Track, wegen der deutschen Nichtbeteiligung am Irak-Krieg, allen Ernstes behauptet wird: „Deutschland taugt zum Weltgewissen“. Da hätte ich diese CD beinahe wie eine Diskusscheibe Richtung gelbe Tonne geschleudert (Notabene: Genau dorthinein, wo Verpackungen aus Metall, Verbund- und Kunststoffen gesammelt werden, gehören aufgrund ihres komplexen Materialmixes gebrauchte oder unbrauchbare Hörbücher. Ich erwähne das nur, weil hier natürlich auch die deutsche Mülltrennung gerühmt wird).

Zum Ende hin wird es besser. Der Blick auf die weltweit agierenden deutschen Touristentrupps ist nicht frei von Ironie – und dass ausgerechnet Deutschland die Pizza zum Nationalgericht Italiens gemacht hat, war mir wirklich neu. Die erste Generation süditalienischer Gastarbeiter brachte die Pizza, die man im Rest Italiens bis dahin für arabisches fast food gehalten hatte, über die Alpen. Erst auf Nachfrage der vielen deutschen Urlauber setzte sich die Pizza später überall in Italien durch.

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