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Kultur: Hörst du, wie die Engel singen?

Gratwanderung mit Gitarre: Joaquin Phoenix spielt Johnny Cash in „Walk The Line“

Es ist ein Song, der buchstäblich die Wände zum Wackeln bringen kann. „I Walk The Line“ von Johnny Cash gehört, man darf das ruhig so pathetisch formulieren, zu den erschütterndsten Stücken, die die Popmusik des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Dabei besteht er bloß aus dem simplen Viervierteltakt einer Rhythmusgitarre und drei, vier Tönen, die dazu auf einer Melodiegitarre gezupft werden. Damit verglichen wirken selbst die Hits der Sex Pistols überkomplex. Aber dann hebt diese dunkel vibrierende Stimme an zu singen: „As sure as night is dark and day is light / I keep you on my mind both day and night / And happiness I’ve known proves that it’s right / Because you’re mine, I walk the line.“ Das Leben: eine Gratwanderung. Und nur eines hilft, den Kurs zu halten: die Liebe.

„Walk The Line“, der Film über Johnny Cash, beginnt mit einer Totalen auf Folsom Prison und dem Boom-chicka-boom-Rhythmus des Songs. Erst ist es nur ein leises Grollen, aber dann fährt die Kamera auf die Mauern des Hochsicherheitstrakts im kalifornischen Silicon Valley zu, Gittertore und Eisentüren öffnen sich, der Lärm schwillt an, bis die Menschen ins Bild kommen, die ihn veranstalten: inhaftierte Schwerverbrecher, harte Jungs mit tätowierten Möbelpackerkörpern, die beim legendären Benefiz-Auftritt des Country-Stars am 13. Januar 1968 frenetisch applaudierend eine Zugabe verlangen. Cash (Joaquin Phoenix) hat die Bühne schon verlassen, er sitzt gedankenverloren in seiner Garderobe, unentschlossen, ob er weiterspielen soll. Es folgt die für ein Biopic obligatorische Rückblende: ein Sprung in die vierziger Jahre, in die von Armut geprägte Kindheit des Sängers auf einer Baumwollpflückerfarm in Arkansas.

Gut zwei Stunden später wird der Film wieder im Folsom Prison enden, mit der Zugabe, die Johnny Cash dann natürlich doch noch gibt: „I keep a close watch on this heart of mine / I keep my eyes wide open all the time / Because you’re mine, I walk the line.“ Im Grunde erzählt diese eine Szene, dieser eine Song schon die ganze Geschichte. „I Walk The Line“ klingt wie eine mantra-artige Selbstbeschwörung, es ist ein Lied, das man pfeifen kann, wenn man in den dunklen Keller muss. Cashs Leben verlief alles andere als gradlinig, er stieg früh zum Star auf und stürzte immer wieder ab, war schwerer Alkoholiker und probierte die meisten anderen Drogen durch, bis sie ihn beinahe umbrachten.

Das Jahr 1968, das Regisseur James Mangold („Cop Land“, „Girl Interrupted“) zum dramaturgischen Dreh- und Angelpunkt seines Films gemacht hat, markiert einen Wendepunkt in dieser schillernden Biografie, in der es mindestens so viele Niederlagen wie Siege gegeben hat. Nachdem er kommerziell schon abgemeldet schien, schaffte Cash mit zwei Live-Alben, die er in den Gefängnissen von Folsom und San Quentin aufnahm, ein triumphales Comeback. Wütende Attacken auf das US-Justizsystem („San Quentin, I hate every inch of you“) verschafften ihm Respekt bei der Woodstock-Generation, plötzlich galt der Nashville-Rebell als Sprachrohr der Ohnmächtigen. Und nach der Hochzeit mit seiner zweiten Frau June Carter, um die er lange hatte werben müssen, kam er von den Drogen los. Die Liebe, so kann man das sehen, hat Cash gerettet. Für die weiteren Stationen im Lebensweg des Sängers, der im September 2003 gestorben ist, müssen die Abspanntitel reichen. „Because you’re mine, I walk the line.“

„Walk The Line“ ist ein prachtvoller Erweckungsfilm, er erzählt die Legende vom Überleben dieses heiligen Trinkers, Junkies und Pillenfressers mit religiösem Pathos. Das ist durchaus angemessen, denn Cash war zeitlebens ein frommer Mann, der gerne zu biblischen Weisheiten griff. „Love – God – Murder“, in diesen archaischen Kategorien hat Quentin Tarantino das Werk seines Idols zusammenfasst, als er drei Alben mit dessen Songs zusammenstellte. Der Tod trat früh in Cashs Leben, mit zwölf Jahren musste er auf dem väterlichen Hof mitansehen, wie sein älterer Bruder in eine Kreissäge geriet und qualvoll starb.

Im Film wird daraus eine Schlüsselszene. „Hörst du, wie die Engel singen?“, fragt der Bruder auf dem Sterbebett den kleinen John, und der Vater stößt einen Fluch aus, der den Sänger bis ans Ende seiner Tage verfolgen wird: „Der Teufel hat das getan, er hat mir den falschen Sohn genommen.“ John kann jedes Lied nachspielen, das er im Radio hört, „songs are easy for me“, sagt er. Aber das Gefühl, zu Unrecht weiterzuleben, wird er nicht mehr los. Dass der Man in Black später bei seinen Auftritten ausschließlich schwarze Kleider trug, war mehr als eine Marotte: Er trauerte wirklich. Aus dem Minderwertigkeitskomplex, so die etwas simple Küchenpsychologie des Films, resultierten Versagensängste und der Wunsch, sie mit Drogen zu kaschieren.

Aber „Walk the Line“ ist vor allem ein grandioser Liebesfilm. Johnny Cash sieht seine spätere Frau June Carter (Reese Witherspoon) zum ersten Mal 1952 auf dem Cover einer Musikzeitschrift. Da ist er als GI im bayrischen Landsberg stationiert und damit beschäftigt, nach Feierabend erste Songs zu komponieren. Sie ist als Mitglied der Bluegrass-Truppe The Carter Family bereits eine Berühmtheit. Später kreuzen sich bei einer Tournee, die Cash mit seinen Rock’n’Roll-Kollegen Elvis Presley (Tyler Hilton), Jerry Lee Lewis (Waylon Malloy Payne) und Roy Orbison (Jonathan Rice) durch die Südstaaten-Provinz führt, ihre Wege. Beide sind verheiratet, ihre Liebe muss sich zunächst heimlich in Hotelzimmer flüchten und führt zu lautstarken, mitunter handgreiflichen Zerwürfnissen. Am Ende singen sie in Las Vegas den Hochzeits-Song „Jackson“, und er fragt sie, ohne dass es abgesprochen wäre: „Willst du mich heiraten?“ Sie lässt ihn minutenlang schmoren und antwortet: „Okay“.

Zum Ereignis wird der angenehm altmodisch inszenierte Film durch seine Hauptdarsteller. Joaquin Phoenix hat nicht nur alle Eigenarten von Johnny Cashs Bühnengebaren bis hin zu dessen verkeilter Gitarrenhaltung drauf, er singt dessen Songs auch durchaus respektabel. Sein Method Acting wirkt allerdings so perfekt, dass es in die Imitation zu kippen droht. Reese Witherspoon agiert freier. Sie ist eine furiose Entertainerin, ihr Gesang mit eingebautem Texas Drawl klingt hinreißend. Ein Paar, dem man das Unwahrscheinlichste abnimmt: die Liebe fürs Leben.

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