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Kultur: Holocaust-Leugner David Irving gegen die Historikerin Deborah Lipstadt

Die Welt im Kopf des David Irving ist anders. Anders, als Tatsachen, Forschung, Verstand, Recht und Archive belegen.

Von Caroline Fetscher

Die Welt im Kopf des David Irving ist anders. Anders, als Tatsachen, Forschung, Verstand, Recht und Archive belegen. Hitler habe die Juden nicht ermorden wollen. In Auschwitz sei niemand ins Gas geschickt worden, die jüdische Bevölkerung Europas habe man nur umsiedeln wollen, nach Madagaskar. Und Anne Franks Tagebuch? Nichts als "ein Roman".

Wer eine solche Umkehrmaschine im Kopf hat, muss pausenlos mit Negieren beschäftigt sein. Gedreht und gewendet passen die Tatsachen dann wieder ins System. Dass sich die Produkte seines Systems, seine Bücher zum Thema "Drittes Reich" und Holocaust, nicht mehr verkaufen, ärgert den Hobby-Historiker maßlos. Seit Wochen prozessiert er darum in London vor dem Obersten Gerichtshof gegen die amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt und deren britischen Verleger Penguin Books. Ehe ihr Buch über Leugner des Holocausts erschien, habe er 100 000 Dollar im Jahr verdient. Danach wollte ihn keiner mehr drucken.

In Großbritannien darf ein Kläger so ausführlich zu Wort kommen, wie nirgends sonst. Auf jede Stufe von Irvings Wendeltreppe müssen ihm die Beklagte und ihr Anwaltsteam folgen; so ergibt sich ein von Tag zu Tag bizarrer werdendes Szenario. Denn die Gegenseite wappnet sich mit erstklassigen Experten, die das Verzerrte vor Gericht wieder entzerren sollen. Diese Woche hat der Berliner Historiker Hajo Funke ausgesagt: Dass Irving in Deutschland auf DVU-Tagungen umjubelt wurde, als er noch einreisen durfte. Über tausend Seiten Gutachten fährt die Gegenseite auf, sie stammen von hochkarätigen Prozess-Zeugen wie von den Holocaust-Forschern Christopher Browning und Peter Longerich, dem Cambridge-Historiker Richard Evans oder dem Holländer Robert Jan van Pelt.

Es ist, als fordere ein Quacksalber die Koryphäen der internationalen Ärzteschaft heraus. Absurd. Ein besessener Scharlatan zwingt hier in London eine Riege von Spitzenforschern zur Teilnahme an einem Duell, das er so oder so gewinnt: als Märtyrer oder als erfolgreicher Kläger.

Nun gibt das israelische Staatsarchiv Adolf Eichmanns Tagebücher frei. Der Organisator der Judenmorde verfasste sie während seiner Untersuchungshaft in Israel; Generalstaatsanwalt Eljakim Rubinstein gab sie jetzt als Material für die Beklagte Lipstadt frei. Eichmann schrieb 1 300 Seiten in Jerusalem, nach seiner Entführung aus dem argentinischen Versteck durch den Mossad 1960. Was Irving zu den Dokumenten sagen wird, in denen Eichmann seine Beteiligung an den Verbrechen detailliert schildert, um sich als Befehlsempfänger und kleinen Bürokraten darzustellen, das läßt sich schon jetzt ahnen. Es wird sich kaum anders ausnehmen als seine Äußerungen zu den Geständnissen der Täter bei den Nürnberger Prozessen. Entweder abgepresst oder falsch abgeschrieben seien die gewesen, behauptete Irving Anfang Februar. Einmal nur habe er Tonaufzeichnungen mit Protokollen verglichen. Die seien komplett unbrauchbar. Für seine Zwecke.

Wer aber wird das Material Eichmanns verwenden, das der Staat Israel vierzig Jahre lang hütete? Wohl nur Forscher, die in Stilstudien zu den Aufzeichnungen über Themen wie die "völlige Entjudung aller besetzten Gebiete" ein noch genaueres Psychogramm des Faschismus zeichnen möchten. Das wäre womöglich der einzige sinnvolle Effekt dieser wahnsinnigen Veranstaltung. Bis April soll sie dauern.

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