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Unterm Pflaster liegt der Strand. Der SDS-Kopf Rudi Dutschke (M, mit erhobener Faust), und Erich Fried (l) marschieren am 18. Februar 1968 in Berlin an der Spitze eines Demonstrationszuges gegen den Vietnamkrieg mit.

© picture-alliance/ dpa/Chris Hoffmann

Hommage an Erich Fried im Berliner Ensemble: Das Gespenst der Freiheit

Erich Fried erzählt Angela Merkel, wie es war: Begegnungen zum 80, Geburtstag des Dichters im Berliner Ensemble.

Von Gregor Dotzauer

Schlechte Zeiten für politische Gedichte. Genosse Biermann ist nicht mehr besonders gut dabei, und der lyrische Nachwuchs hat keine Ambitionen. Auch der Stoff scheint sich zu entziehen, als wäre es früher einfacher gewesen, sich einen Reim auf die Verhältnisse zu machen. Über die FDP, zum Beispiel, schreibt man keine Verse. Man schreibt am besten gar nichts. Und dem parlamentarischen Rest kommt man mit prosaischen Feststellungen noch am ehesten bei - obwohl der Zug ins Fiktive und Inszenierte, den alle Politik angenommen hat, es erschwert, literarische Mittel Erkenntnis fördernd einzusetzen.

Man muss zugeben, dass es ein Fortschritt ist, nicht mehr das ganze Elend dieser Welt in handliche Epigramme zu verpacken und so zu tun, als hätte man außer moralischer Selbstbefriedigung etwas erreicht. Das sind Dinge, über die man reden müsste, am besten mit Erich Fried, dem erfolgreichsten politischen Lyriker der deutschen Nachkriegszeit - wenn er, der Wiener Jude im Londoner Exil, nicht 1988 gestorben wäre.

Ersatzweise könnte man, rechtzeitig zu Frieds 80. Geburtstag am 6. Mai, auch einen Blick in seine Texte werfen und hoffen, dass sie Auskunft darüber geben, was ein linker Lyriker heute zu tun hätte. Oder man begibt sich, an einem lauen ersten Maiabend, zu einer Gedenkveranstaltung ins Berliner Ensemble - und landet in einer Gedenkveranstaltung für die Bonner Republik: "Erich Fried erzählt Angela Merkel, wie es wirklich war".

Auf der Bühne eine Topbesetzung: unter anderem Christoph Hein, George Tabori, Manfred Karge, Hermann Beil - und Frieds Verleger Klaus Wagenbach, dem es ein Bedürfnis ist, Angela Merkel Nachhilfe darüber zu geben, wie es um die Demokratie in der alten Bundesrepublik stand. Und er fordert sie, die Joschka Fischer aufgefordert hatte, für seine politischen Jugendsünden zu büßen, nun ihrerseits auf, reuig ihr Haupt zu beugen - was auch deshalb seinen Charme hat, weil 35 Jahre deutscher Sozialismus Angela Merkel vermutlich weniger verbogen haben als ein Jahr Parteivorsitz bei der CDU. Unlängst, bei der Eröffnung der Rühmkorf-Ausstellung in der Akademie der Künste, hatte Wagenbach schon einmal ausgeholt, um es Angela Merkel zu zeigen.

Politische Sentimentalitäten

Aber als er jetzt noch einmal kräftig aufschlug, wollte der Ball immer noch nicht in der Gegenwart ankommen. Man kann zum 1000. Mal den Vietnamkrieg bemühen, der 1966 in Frieds Gedichtband "und Vietnam und" Eingang fand. Aber wenn es nicht gelingt, die Brücke zum moralisch schillernderen Fall des NATO-Kriegs gegen Serbien zu schlagen, kommt man nicht weit. Und man kann zum tausendsten Mal die Zeit der Berufsverbote beschwören, der prügelnden Polizisten und und zensierten Filme: Wenn es nicht gelingt, den Bogen zu der permissiven Mediengesellschaft zu schlagen, in der das feste Reiz-Reaktions-Schema nicht mehr gilt und keine Rede mehr davon sein kann, dass ein freiheitlich-demokratisches Theater eine obrigkeitsstaatliche Wirklichkeit verbirgt - dann wird es schwierig.

Die 70er Jahre waren eine große Zeit, auch für den Wagenbach Verlag, dessen Kapital Frieds Gedichte bis heute sind, bevor er sich toskanawärts orientierte. Nur kann man nicht so tun, als wäre die Achse Auschwitz-Stammheim, die Frieds Denken prägte, noch intakt. Auch der von Wagenbach fast sehnsüchtige erinnerte Kampf zwischen den Fried-Feinden, die den Dichter aus den Schulbüchern drängen wollten, ist grundsätzlich zugunsten der Freunde entschieden.

Überhaupt macht man sich keine Vorstellung davon, wie populär Fried geblieben ist: wie viele seiner Texte im Internet herumschwirren, wie viele Schulen seinen Namen tragen und wie viele Anfragen im Wagenbach Verlag einlaufen, ob man dieses oder jenes Gedicht vertonen dürfe.

Ein Ergebnis dieser kulturellen Entspannung ist, dass sich junge Leute heute weitaus mehr mit dem Mixen von Mojitos als von Molotow-Cocktails beschäftigen. Und auch wer davon träumt, dass die alljährlichen Kreuzberger Mai-Krawalle Ausdruck eines gerechten Volkszornes seien, der auf den Umsturz der Verhältnisse ziele, muss enttäuscht werden. So zynisch es klingt: It's party time.

Ein Quäntchen Zerknirschung

Nichts bringt die alten Zeiten zurück, an wenig lässt sich anknüpfen, und dann nur mit einem Quäntchen Zerknirschung. Es war richtig, gegen Berufsverbote zu protestieren. Aber es wäre nicht schlecht, zuzugeben, dass die Freunde von der DKP ihre Freiheit als Andersdenkende zum Teil auch dazu nutzten, um bei Freundschaftsbesuchen im benachbarten Deutschland paramilitärische Übungen für die Revolution durchzuführen.

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Fried hat effektvolle und verständliche Gedichte geschrieben, auf dieser Einfachheit insistiert und damit sogar Schüler hervorgebracht, wenn man an Autoren wie Arnfrid Astel denkt. Andererseits war er ein ziemlich vorhersehbarer Dialektiker, der seine rhetorischen Strategien gerne allzu wiederholungssüchtig ausspielte. Nein, als politischer Lyriker ist Erich Fried ein Gespenst, und die unverhohlene Sympathie für die Rote Armee Fraktion, die für ihn nur eine Form irregeleiteten Engagements zu sein schien, wirkt nur noch ärgerlich.

Was bleibt? Ein paar wunderschöne Liebesgedichte, darunter der Evergreen "Was es ist", in den Lyrikcharts immer noch ganz oben und in Franz Wittenbrinks Vertonung mit der trollhaft-brechtischen Carmen-Maja Antoni ganz unverbraucht - und ein paar Heuler, die man sich besser nur im Kreis waidwunder Seelen vorliest. Dazu wunderbare autobiografische Prosa ("Mitunter sogar Lachen"). Und Gedichte, die von einem wortklauberischen, ringelnatzschen Genius leben, der jedem Pathos in die Parade fährt.

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