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Ach, wie leicht ist mir zumute. Gaston Lagaffe schlurt durch seine Welt, die Redaktion einer Zeitschrift, die er regelmäßig durcheinanderbringt.

© Abbildung: FranquinDargaud-Lombard, 2016

Hommage an Gaston: Der Chaot vom Dienst

Er ist der Antiheld schlechthin, der Redaktions-Schluri von „Spirou“: Die Bibliothek im Pariser Centre Pompidou huldigt André Franquins spilleriger Comicfigur Gaston.

40 Jahre alt wird das Pariser Centre Pompidou in diesem Jahr, diese „Kulturmaschine“, wie sie anfangs halb bewundernd, halb verächtlich genannt wurde. 40 Jahre alt wird damit auch die Bibliothèque publique d’information (Bpi) auf der zweiten und dritten Etage, die von Anfang an den Eckpfeiler des grandiosen Publikumserfolgs bildete. Denn diese Bibliothek, die so ganz anders war, als Bibliotheken es bis dahin waren, steht jedem ohne Leseausweis offen und bietet seit jeher Fernsehen, Videos, Musik und – bandes dessinées (BD), außerhalb des französischen Sprachraums nicht ganz bedeutungsgleich als Comics bezeichnet.

Die Comics, in Frankreich als „9. Kunst“ verehrt, locken Jung und Alt gleichermaßen, und es ist nur folgerichtig, dass die Ausstellung, mit der die Bpi ihr Jubiläum begeht, einem der ganz Großen der BD gewidmet ist, dem Zeichner André Franquin (1923–1997) und seinem Geschöpf Gaston Lagaffe.

Gaston ist das Alter Ego weniger von Franquin als vielmehr des damaligen Chefredakteurs der in Belgien und Frankreich parallel veröffentlichten Comiczeitschrift „Spirou“, Yvan Delporte. Der wurde als vollbärtiger Dufflecoat-Träger berühmt, als Anti-Held einer auf Wirtschaft getrimmten Nachkriegszeit, der gerne Tiere ins Büro mitbrachte. Und so ist auch Gaston: der anti-héros schlechthin, der Redaktions-Schluri von „Spirou“, denn Franquin hat einfach die realen Verhältnisse der aus Brüssel stammenden Zeitschrift und ihres bunten Personals zum Vorbild genommen und mehr oder minder sanft überzeichnet. Eher mehr: Denn was Gaston in jedem Heft anstellt, seit er am 28. Februar 1957 – also vor genau 60 Jahren – erstmals noch etwas unsicher die Tür zur Redaktion öffnete, um sich – als ja was eigentlich? – vorzustellen, geht über die namensgebende gaffe, die Torheit, den Patzer oder Ausrutscher, weit hinaus. Gaston, vorgestellt als héros sans emploi, als Held ohne Job, ursprünglich nur zur Auflockerung von „Spirou“ gedacht, dann aber zum eigenständigen Strip erhoben, soll kleinere Arbeiten ausführen.

Ein von Ideen sprühender Tüftler

Eigentlich ist er Bürobote, aber auch Fensterputzer, Archivarbeiter und wer weiß was, doch im Grunde ist er ein vor schrulligen Ideen sprühender Tüftler, der nur eben alle in den Wahnsinn treibt und dabei die Logik auf seiner Seite hat. Nur ist es die Logik des Widerstands gegen alle Konvention. Gaston ist der Sand im Getriebe. Charakteristisch ist Gastons Körperhaltung. Er formt aus seinem schlaksigen Leib ein „S“, angetan mit Blue Jeans und Rollkragenpullover, aus dem der große runde Kopf herauslugt, mit Knollennase und Strubbelhaaren. Seine Herkunft aus dem Existenzialismus der unmittelbaren Nachkriegszeit ist so unverkennbar wie bei „Spirou“-Chef Delporte, doch schlägt Gaston im Lauf seiner Existenz die Brücke zu den autoritätsverweigernden 68ern, und wäre er hierzulande entstanden, müsste man ihn als Miterfinder des legendären „Tunix“-Kongresses von 1979 feiern.

Gaston ist allerdings vollkommen unpolitisch, nacheinander Beatnik, Hippie und Öko-Freak, er ist ein Anarchist des Alltags, den er unfreiwillig als schiere Absurdität bloßlegt. Ungeniert schraubt er in den Redaktionsräumen an seinem Moped herum, lässt Miniaturflieger aufsteigen (und abstürzen) oder saust mit einem selbst gebauten Sessellift durch die Flure, bis er gegen eine leider geschlossene Tür knallt. Die Bpi hat sich als passende Strips für sich selbst die Episoden ausgesucht, da Gaston aus Büchern eine Wand baut, einmal sogar samt Rundbogenöffnung – und es gerade noch schafft, ein angefordertes Buch herauszulösen, ohne dass die fragile Konstruktion kollabiert.

Wozu gibt es Verkehrszeichen?

Ach, wie leicht ist mir zumute. Gaston Lagaffe schlurt durch seine Welt, die Redaktion einer Zeitschrift, die er regelmäßig durcheinanderbringt.
Ach, wie leicht ist mir zumute. Gaston Lagaffe schlurt durch seine Welt, die Redaktion einer Zeitschrift, die er regelmäßig durcheinanderbringt.

© Abbildung: FranquinDargaud-Lombard, 2016

Im Laufe der Jahre erweitert sich Gastons Aktionsradius, er geht auf die Straße, legt sich – lange vor Seyfried! – ununterbrochen mit Gendarmen an, und weil Franquin ein Liebhaber von Oldtimern war, fährt Gaston in ständig versagenden Alt-Autos herum, ohne einen Pfifferling auf Verkehrszeichen und Ordnungshüter zu geben. Was der belgisch-französischen Leserschaft gewiss aus dem Herzen gesprochen war.

Auch eine Verehrerin bekommt Gaston, die obersüße Archivmaus Jeanne mit Sommersprossen, Brille und Pferdeschwanz; allerdings durfte Franquin, was die zarten Liebesbande anbelangt, im katholisch-prüden Belgien jener Jahre nicht allzu weit gehen. Mahnende Briefe des Verlegers, unter die Dokumente der Ausstellung gemischt, zeugen von mühsam gebändigten Konflikten. Zu sehen sind ferner neben Reproduktionen zahlreicher Strips originale Zeichnungen, die den wundervoll poetischen Strich Franquins offenbaren, und Fotos aus dem schrägen Alltag der Redaktion.

Mit Franquin sollte auch Gaston sterben

Franquin, ein melancholischer Charakter mit depressiven Aussetzern, musste irgendwann aus dem „Spirou“-Idyll heraus und brachte „schwarze Ideen“ zu Papier, für die er sich neue Publikationen für eine erwachsene Leserschaft schuf. Politisch engagiert war Franquin überdies, er ließ Gaston für Amnesty International auftreten und früh schon für ökologische Kampagnen.

Rund 900 Folgen von Gaston hat er gezeichnet, die ersten 400 mit seinem zu Beginn gerade einmal 22-jährigen Kompagnon Jidéhem (Jean de Mesmaeker), und er verfügte, dass die Serie mit seinem Tod endet. Kein penibel kopiertes Nachleben wie bei Asterix. Nebenbei ist es interessant zu sehen, wie ähnlich sich manche Figuren und ihre Körpersprache bei diesen Antipoden der frankophonen Comicwelt denn doch sind. Es sind der Realismus im Detail, die räumliche Perspektive, die Andeutung von Bewegung und nicht zuletzt die mit Lautmalereien und Piktogrammen angereicherten Sprechblasen, die bei beiden Serien stilbildend wirkten. Franquin hat für Gaston überdies Ausdrücke erfunden, die unübersetzbar bleiben, aber zum Wortschatz Frankreichs gehören, wie der Ausruf „Rogntudjuu!“. Was immer das heißen mag: Es wurde verstanden.

Paris, Bibliothèque publique d'information, Centre Pompidou, bis 10. April. Eintritt frei. Sehr schöner Katalog 30 €.

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