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Hommage an Jazz-Pionier Eric Dolphy: Hohe Auflösung

„So long, Eric“: Mit einer Hommage an den Jazz-Pionier Eric Dolphy im RBB-Sendesaal machte man sich daran, den Geist seiner krummen Existenz einzufangen.

Jeder mochte Eric Dolphy. Sogar jene, die seine Musik nicht begriffen. Eric Dolphys Bedeutung für den Jazz ist heute unbestritten. Er gilt als Figur des Übergangs. Als einer der Ersten löste sich der Altsaxophonist, der schnell die Bassklarinette für sich entdeckte und schließlich sogar die Querflöte für die improvisierte Musik erschloss, von tradierten Mustern. Von Swing, vom Taktschema, vom Beat überhaupt, und löste auch harmonische Strukturen auf.

Doch in der kurzen Phase zwischen 1960, als er sich der Gruppe von Mingus in New York anschloss, bis 1964, als er in Europa Fuß zu fassen versuchte, blieb sein Einfluss auf andere Musiker zu flüchtig, um eine eigene Schule zu begründen. Keiner klang auch nur annähernd wie er. Mittlerweile stellen die von Dolphy betretenen Freiräume längst kein Risiko mehr dar. Es ist spannender, eine andere Seite an diesem Musiker zu entdecken, der von Diedrich Diederichsen einmal als der Walter Benjamin des Jazz bezeichnet worden ist: „der große Unvollendete, der für sein Potenzial fast noch berühmter wurde als für sein Werk“. Nämlich die strukturelle Seite seines Schaffens.

Hommage anlässilich Dolphys 50. Todestag

Dass in den impulsiven Ausbrüchen seines eckigen Instruments ebenso ein Plan wirkte wie in seinen schwer fassbaren Kompositionen, hat sich anlässlich von Dolphys 50. Todestag Alexander von Schlippenbach zu demonstrieren vorgenommen. Mit Musikern, die Dolphy noch persönlich erlebt, und solchen, die ihn als ihr Vorbild ausgewählt haben, machte sich Schlippenbach im Großen Sendesaal des RBB daran, den Geist von Dolphys krummer Existenz einzufangen.

In Berlin fühlt man sich dem Jazz-Pionier besonders verbunden: Er starb am 29. Juni 1964 in einem Wilmersdorfer Krankenhaus an einer unerkannten Diabetes, mit 36 Jahren. In die Mauerstadt war er gereist, um, wie er das oft zu jener Zeit tat, mit heimischen Musikern aufzutreten. Noch während des Konzerts im Jazzklub Tangente brach er zusammen. Der Vibrafonist Karl Berger war dabei. Und der steht auch jetzt im Rundfunkhaus wieder hinter seinem Instrument.

Das zwölfköpfige Ensemble ist dabei sehr viel größer, als es die Besetzungen gewesen waren, auf die Dolphy zu Lebzeiten entweder als Bandleader oder als Widerpart von Bandleadern wie John Coltrane, Ornette Coleman und George Russell Einfluss hatte. Aber das ist nicht ohne Reiz. Denn wie organisiert man eine solche Gruppe, der als Gerüst ein Taktmaß fehlt, wie steuert man sie durch komplexe Passagen, verworrene Linien und klaffende Brüche?

Im wilden Lärm des freien Spiels

Ganz ohne Handzeichen kommen Schlippenbach und Takase nicht aus bei ihren Arrangements von Dolphy-Klassikern wie „The Prophet“, „Out There“ und sämtlichen Stücken von „Out to Lunch“. Doch gehen die ausformulierten Teile im wilden Lärm des freien Spiels unter. Melodiefragmente irren wie abgesprengt durch den Raum. Die Doppelbesetzungen von Klavier, Bass und Schlagzeug wühlen sich durch den Humus klumpiger Harmonien. Solisten wie der für ein solches Projekt unverzichtbare Rudi Mahall an der Bassklarinette, wie Henrik Walsdorff am Altsaxophon und Nils Wogram an der Posaune setzen mal ruppige, mal sanft-lyrische Akzente. Han Bennink, mit dem Dolphy seine letzte Plattenaufnahme in Hilversum gemacht hatte, spielt, als würde immer wieder jemand in sein Schlagzeug stürzen. Darüber bleibt das Bewusstsein erhalten, dass Dolphy die kollektive Befreiung, die heutige Musiker nach Belieben ausleben können, noch vor sich sah.

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