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Der Unvorhersehbare. Sven Ratzke war schon Marktschreier und Vaudeville-Performer.

© Hanneke Kuijpers/Promo

Homme fatal Sven Ratzke: Und der Haifisch, der hat Federn

Varieté, Chanson, Jazz: Der Deutsch-Holländer Sven Ratzke ist ein vielseitiger Entertainer. In Heimathafen Neukölln singt er jetzt den „Groschenblues“.

Eine namhafte Plattenfirma hat Sven Ratzke mal vorgeschlagen, ihn ganz groß rauszubringen. Als Rockcharge mit Rudi-Carrell-Akzent, der ausschließlich Falco-Songs singt. „Falco Carrell“, sagt Ratzke und verzieht die Mundwinkel. Nicht für eine Million. Dabei hat der Deutsch-Niederländer ja durchaus Songs des österreichischen Dandys in seinem breit aufgestellten Repertoire, den Da-didel-dum-Hit „Der Kommissar“ zum Beispiel. Aber erstens covert Ratzke fremde Lieder nur, um sie klingen zu lassen wie nie gehörte. Und zweitens lässt er sich partout nicht mit einem Label oder Etikett versehen, dazu ist er viel zu sehr Gesamtkünstler und Chamäleon.

Die Kette der schmückenden Attribute, die dem Mann hierzulande angehängt wurden, ist girlandenlang. Homme fatal, enfant terrible des Showbiz, Gossenprinz und Diva des Glamour-Cabarets, das alles ist der singende Entertainer schon gewesen. „In der deutschen Presse wird auch immer sehr poetisch beschrieben, was ich auf der Bühne anhabe“, erzählt er beim Frühstückstreffen in einem Café neben dem Wasserturm am Prenzlauer Berg und lächelt vergnügt. In Holland dagegen hieße es nur: „Er trug Federn“.

Sven Ratzke kommt mit einer neuen Show nach Berlin. Man könnte auch sagen: nach Hause, die Stadt ist sein Zweitwohnsitz neben Amsterdam. „Ich hab’ den Groschenblues“ heißt das Programm im Heimathafen Neukölln. Es ist eine Revue aus Liedern von Brecht und Weill. Dass die „Drei“ vor den Groschen weggefallen ist, verdankt sich einer Intervention der berüchtigten Brecht-Erben, die das Werktreuebild mit Zigarre hochhalten. Fest steht, dass Ratzke auch diesen raucharmen Mackie-Messer- und Seeräuber-Couplets eine persönliche Note verleihen wird. Die Lieder, schwärmt er, seien „wie Räume, die du selber gestaltest. Du kannst darin wohnen“.

Mit Plüsch wird Ratzke sein Kurt- Weill-Ambiente sicher nicht auskleiden. In der Dreigroschenoper, die er mit Balladen wie „Surabaya Johnny“ kreuzt, gehe es schließlich höchst handfest „ums Huren und Saufen“. Das hätten die Leute bloß vergessen. So wie jeder ein Lied aus dieser Moritat kenne, aber keiner die konfuse Handlung nacherzählen könne. Keine Sorge, er wird’s auch nicht versuchen.

Auf Ratzkes Varieté-Bühne geht es um den Lebensblues. Dazu beschwört er virtuos und lässig die Atmosphäre der zwanziger Jahre und des Vaudeville, das vom Tanz bis zur Performance alle Stile zuließ und die Freiheit versprach, die er sich heute nimmt. Zirkus, Jazz, Klassik, das kommt alles zusammen. Und an der Seite hat Ratzke mit Claron McFadden eine international gefragte Star-Sopranistin, die noch den Punk im Herzen trägt. Die Reaktionen auf die Amsterdamer Premiere im Jazztempel Bimhuis waren euphorisch.

Sven Ratzke könnte auch die eigene Biografie als Groschenroman einer schrägen Selfmade-Karriere verkaufen. Das war bloß nie sein Interesse. Er ist als Kind von Hippies in Kranenburg an der deutsch-niederländischen Grenze geboren worden und in der Kommune eines besetzten Klosters in Holland aufgewachsen. Die Mutter war Musiktherapeutin, „aber wir sind nicht die ganze Zeit singend durchs Haus gezogen“, sagt er. Künstler zu werden war eine Selbstverständlichkeit, kein Schritt, den er sich hätte vornehmen müssen. Als er 16 war, tourte er mit dem berühmten Festival Parade durch die Städte, als Marktschreier vor einem der über 20 Theaterzelte. Im kommenden Sommer ist er dort neben Ellen ten Damme der Hauptact im größten 600-Plätze-Zelt mit drei Shows am Abend.

Ratzke hat inzwischen auch New York erobert, unter anderem ist er in der legendären Location Joe’s Pub aufgetreten, vielleicht wird es bald die Carnegie Hall, wer weiß. Ratzke plant nicht, er lässt die Dinge passieren. In Deutschland ist der endgültige Popularitätsschub entgegen vielfacher Prognosen nie gekommen. Das bekümmert ihn nicht. Zumal er sich in Berlin eine verlässliche und nicht eben kleine Fangemeinde erspielt hat, zumeist in der Bar jeder Vernunft, wo er bald auch wieder mit dem Soloprogramm „Nachtspiele“ auftritt. Inzwischen sind die Berliner auch an seinen gern mal sarkastisch schillernden Stil gewöhnt. Als er vor Jahren den von Thomas Pigor geschriebenen Hohngesang „Was wäre Deutschland schön ohne Berlin“ anstimmte, kam nach dem Auftritt eine ernsthaft gekränkte Lokalpatriotin auf ihn zu: „Ick mag Sie ja, ick find Sie toll, aber lassen Sie det Lied bitte“.

Sven Ratzke ist in zwei Welten zu Hause. Was ihm den Vorteil verschafft, beide gleichermaßen bespötteln zu dürfen. Vor allem hat er in Holland mit Songs wie „Deutsches Sexappeal“ nachhaltig das Klischee vom humorfreien Teutonen torpediert. So viel Selbstironie war man bis dato von den wenig geliebten Nachbarn nicht gewöhnt, „das war ein Eye-Opener“, sagt Ratzke. Inzwischen veranstaltet er in Amsterdam einmal pro Jahr die deutsch-niederländischen Nächte, zu denen er Künstlerkollegen wie Malediva oder Romy Haag einlädt. Und zwar stets am 5. Mai, dem Feiertag der Befreiung, zu dem Deutsche traditionell nicht willkommen waren. An diesem Datum ließ er auch einen befreundeten Performancekünstler antanzen, „der wie ein Staubsaugervertreter aussieht“, und der als fiktiver Minister für die deutsch-niederländischen Beziehungen beispielsweise absurdes Kauderwelsch über den Schnellzug „Der Führer“ faselte, der zwischen Amsterdam und Rotterdam verkehre. Ein Fake, der den harten Humor der Holländer traf. Spott im Dienste der Völkerverständigung.

Ernst blickt Ratzke auch auf manche Entwicklung in den Niederlanden. Die wachsende Schwulenfeindlichkeit in Amsterdam. Den Kulturkahlschlag und die verdreifachten Steuern auf Tickets. Oder die Website des Rechtspopulisten Geert Wilders, auf der man sich über Osteuropäer beklagen kann. „Ich habe eine bulgarische Bandkollegin, der drohe ich immer, dass ich sie dort melde“, scherzt Ratzke. Die Sorgen von Kollegen, die sich schon mit Auswanderungsgedanken trugen, teilt er allerdings nicht. Er bleibt entspannt und glaubt daran, dass Gestalten wie Wilders „sich schon selbst lächerlich machen“.

Ratzke hält die Politik auch größtenteils aus seinen Shows heraus, mal abgesehen von einem Schmachtduett zwischen Merkel und Sarkozy, das er im Repertoire hat. Seine Auftritte leben vom steten Changieren, von radikalen Stimmungswechseln. Von der tiefen Melancholie, die ins frivole Parlando und wieder in die beißende Ironie kippen kann. Kurzum: von der Unvorhersehbarkeit. Unlängst hat er in Amsterdam eine Performance über Lust aufgezogen, mit Laien und Ex-Pornodarstellern. Da gab es auch verwunderte Stimmen: Wie jetzt, keine Comedy, kein Chanson? Nein, öfter mal was Neues. Und immer mit dem gesuchten Risiko, sagt Ratzke, „dass der Abend völlig danebengehen oder großartig werden kann“.

Heimathafen Neukölln, Do 19.4., 20 Uhr

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