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Kultur: Hospital der Geister

Die Kunst-Werke führen eine Gespensterdebatte auf allen Etagen – bis hinauf zur Chefebene. Ein Rundgang

Ein Gespenst geht um in den Kunst-Werken. Es hat keinen Namen, kein Gesicht. Alles, was man von ihm weiß, ist, dass es nicht einfach so einen Vertrag unterschreibt. Aber dazu später. Denn vorerst muss der Besucher des für seine verwegenen Ausstellungen bekannten Hauses selbst zum Gespenst werden, um Gespenster zu sehen: Ins Finstere hineingehend wird er unsichtbar und würde es bleiben, bewegte er sich nicht irgendwann, und sei es aus bloßer Neugier, sodass Lampen aufblinken, die ihn zur Erscheinung machen. Dann wird es wieder dunkel. An der Wand taucht ein Menetekel auf: „Give me hell.“ Grenzen werden im Dunkeln übertreten.

Die Ausstellung „No matter how bright the light, the crossing occurs at night“ in den Kunst-Werken Berlin, die der Besucher mit dieser unheimlichen Installation von Natascha Sadr Haghighian betritt, will Grenzen sichtbar machen. Die Künstlerin dachte gemeinsam mit Judith Hopf, Ines Schaber und dem Hauskurator Anselm Franke darüber nach, warum heute Phantome und Geister nicht allein mehr in Genrefilmen und -romanen herumspuken und ob das Gespenstische als politische Kategorie taugt.

Wenn Geister erscheinen, bleiben sie stumm und haben doch eine Botschaft. Einst stand der Vampir als Sinnbild für die überwundene feudale Gesellschaft, das Blutsaugertum des Adels. „Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden“, schrieb Marx. Und Heiner Müller wähnte sich in einer Zeit, in der die Toten die Überzahl über die Lebenden gewonnen hatten. Heute klingt das Lied der Gespenster anders: Häufig geben fantastische Motive den in der Medienmaschine unsichtbaren Menschen, eine – wenn auch nur schemenhafte – Form. Denn, so sagt die Theoretikerin Judith Butler, anonyme Kriegsopfer oder Guantanamo-Häftlinge seien „weder lebendig noch tot, sondern auf ewig gespenstisch“.

Die Arbeiten in den Kunst-Werken fragen nach solchen politischen Dimensionen von Repräsentation und Eigenleben der Bilder. Was kann das Paul-Klee-Diktum, dass Kunst nicht das Sichtbare wiedergebe, sondern sichtbar mache, heute bedeuten? Die Berliner Künstlerin Ines Schaber reiste in die Stadt Boyers in Pennsylvania. In der dortigen Kohlemine machte Anfang des letzten Jahrhunderts der sozial engagierte Fotograf Lewis Hine – oft heimlich – Aufnahmen von Kinderarbeitern. Heute lagern dort unter der Erde Tausende Fotos, die einer der größten Bildagenturen weltweit, der Bill- Gates-Firma Corbes, gehören. Auch Rechte an Hines Bildern besitzt das Unternehmen. Schaber fotografiert die Geisterstadt, das Gras über der Mine, von fern die Autos der Mitarbeiter. Das Archiv selbst durfte sie nicht fotografieren. Die Künstlerin wünscht sich, so erklärt sie in einem begleitenden Videovortrag, unsichtbar zu sein, um das Unsichtbare abzubilden.

Auch Sadr Haghighian thematisiert mit der Doppelprojektion „Empire of the Senseless“ unausbalancierte Macht-Wissen-Gefüge. An einer Wand überlagern sich Wörter, die Menschen bezeichnen, brandmarken, beschreiben. Noch sind sie unlesbar. Erst wenn der Besucher vor einen Projektor tritt und eine Bezeichnung buchstäblich auf sich nimmt, wird die andere Zuschreibung an der Wand lesbar: „Eltern“, „Schwein“ oder „Fatty“ steht nun dort.

Die Berlinerin Judith Hopf entdeckt mit ihrer Videoarbeit „Hospital Bone Dance“ komische und surrealistische Elemente im Spuk. In den Gängen des Urban-Krankenhauses führen unterversorgte Patienten einen danse macabre auf, im Warteraum wartet man sich krank, eine Leidende wird schon an der Aufnahme zurückgewiesen. Obwohl sich diese Arbeit eher im Genrekorsett des Fantastischen bewegt, etwa Lars von Triers Fernsehserie „Hospital der Geister“ zitiert, thematisiert auch sie die Gespensterifizierung alltäglicher Lebensbereiche, zeigt, wie Menschen aus Systemen herausfallen.

Die von Anselm Franke als Geisterbahn arrangierte Ausstellung, die alle Arbeiten in einer Art riesigen Spieluhr einbindet, präsentiert ihre Effekte punktgenau. Das Licht geht an und aus, die Filme starten, die Weltmaschine bewegt sich, aus dem Nirgendwo erklingt „Like a Rolling Stone“: „Wie fühlt es sich an, ein komplett Unbekannter zu sein?“

Franke beendet mit dieser Ausstellung nach fünf Jahren seine Arbeit für die Kunst-Werke. Eigentlich sollte er gemeinsam im Triumvirat mit Direktorin Gabriele Horn und Pressesprecher Markus Müller für mindestens weitere fünf Jahre das Institut leiten. Doch Franke vermisst kuratorische Entscheidungsfreiheit und notwendige Debatten über die inhaltliche Ausrichtung. Die Kunst-Werke, die in wenigen Tagen den Namen des neuen Kurators bekannt geben wollen, beteuern hingegen, Franke alle Freiheiten gegeben zu haben. Sie vermissten bei ihm wiederum eines stärkeres Engagement bei Verwaltungsaufgaben.

So treffen verschiedene Vorstellungen aufeinander, was das legendäre Institut sein will und kann. Wie entwickelt sich das Haus weiter, nachdem KW-Gründer Klaus Biesenbach vor zwei Jahren komplett ans New Yorker MoMA wechselte? Franke hofft, dass sein Nachfolger „Bedingungen vorfindet, die einen Übergang von der prekären Projektkultur zur Entwicklung eines programmatischen Profils hin erlauben. Berlin hat genug Kunstinstitutionen, in denen Kuratoren mit kaum nennenswertem Spielraum unter ferngesteuerten Masterplänen arbeiten müssen“. Ferngesteuerte Masterpläne? Nicht als Gespenst, aber als mächtiger Bezugspunkt und Berater spukt Biesenbach offenbar noch immer durch die ehemalige Margarinefabrik.

Bis 12. November, Auguststr. 69, Di–So 12–19, Do bis 21 Uhr. Filmisches Begleitprogramm im Kino Arsenal unter www.fdk-berlin.de/arsenal. Katalog (Verlag Buchhandlung Walther König) 18 €.

Daniel Völzke

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