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Humboldt-Forum: Götter und Gelehrte

Eröffnet: die Debatte um das Humboldt-Forum. Der japanische Philosoph Ryôsuke Ôhashi macht den Anfang.

Von Gregor Dotzauer

O, ließ Friedrich Hölderlin einst Hyperion ausrufen, „o, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt.“ Allzu verständlich, dass Träumen, gerade wenn es um ein Halbmilliardenprojekt wie das Humboldt-Forum auf dem Berliner Schlossplatz geht, nicht nur attraktiver, sondern in seinem ganzen Überschwang auch ökonomischer ist als Denken. Solange nicht einmal der Wettbewerb um die architektonische Ausgestaltung des Hauses und sein Herzstück, die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, entschieden ist, bleibt einem vielleicht gar nichts anderes übrig, als den träumenden Gott zu spielen. Wobei der japanische Philosoph Ryôsuke Ôhashi, den die Initiative Humboldt-Forum in die Rotunde des Alten Museums gebeten hatte, um als erster Referent die Frage „Was erwartet die Welt vom Humboldt-Forum in Berlin?“ zu beantworten, sicher hätte darlegen können, dass Denken und Träumen einander eng verwandt sind. Schließlich hatte er im Lauf des Montagabends auch erklärt, dass das Verstehen und Nicht-Verstehen fremder Kulturen keineswegs dichotomisch strukturiert sei. Weniger philosophisch ausgedrückt: Man versteht vom anderen niemals gar nichts. Man versteht es aber auch nie ganz.

Die Versuchung, von Ôhashis eigenem Vortrag das Gleiche zu behaupten, ist groß. Sie ignoriert jedoch die Skizzenhaftigkeit, mit der er seine denkerische Welt auf ein Viertelstundenmaß zusammenschnurren lassen musste; und sie erwartet praktische Hinweise für die Einrichtung eines Museums, von dem Europäer zwangsläufig andere Vorstellungen haben als ein Japaner, in dessen Philosophie buddhistische und konfuzianische Traditionen mit Heidegger’schen Elementen zusammenfließen.

Ôhashi, heute der führende Kopf der Kyôto-Schule, die seit Jahrzehnten den Brückenschlag zwischen Osten und Westen sucht, ist ein Denker der Transparenz, der Übergänge – und des Provisorischen, eines Begriffs, der für ihn in die tiefsten metaphysischen Implikationen führt und den letzten Halt vor dem Weg in die buddhistische Leere markiert. Man braucht nur einmal einen seiner Aufsätze über die „Lehre vom japanischen Kunstweg“, dem geidô-ron, zu lesen, um sich, ausgehend von Chikamatsus „Lehre von der Haut-Membran zwischen Schein und Sein“, klar zu werden, dass er so ziemlich für das Gegenteil von allem steht, was man mit einem nach DIN-Normen errichteten Stadtschloss mit historischen Fassaden verbindet.

Aber Träumen kostet nichts. Und so waren, nachdem Ôhashi unter den Augen von Zeus und Fortuna, die zusammen mit ihren himmlischen Kollegen als Statuen die Rotunde säumen, sein MacBook aufgeklappt hatte, schnell alle, die über das Gehörte diskutierten, Götter unter Göttern.

Die Choreografin Sasha Waltz träumte von einem Haus, dessen Wände sich in der Horizontalen und der Vertikalen verschieben lassen, und Jochen Sandig vom Radialsystem wähnte sich schon in langen Gedankengängen durch die Flure eilen. Rudolf Prinz zur Lippe sah ehrfurchtsstarr einen Dialog eröffnet, und Volker Hassemer vernahm eine Botschaft von „inneren Formen“, „an der wir uns schweißtreibend abarbeiten müssen“. Nur Peter-Klaus Schuster, dem Hausherrn der Staatlichen Museen, kam das alles zu meditativ und dahlemhaft vor, weshalb er für ein neues Centre Pompidou plädierte und eine „metropolitane Verdichtung“. Einer wie der andere erging sich freilich in einer zauberischen Unbestimmtheit, in der das Humboldtsche Bildungsideal wacker blühen dürfte.

Das Hölderlin-Zitat hat übrigens eine Fortsetzung. Es sagt über den Träumer: „Wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein missratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab.“ Noch hält die Begeisterung an, und es besteht sogar Hoffnung, dass sie konkretere Formen annimmt. Am 7. Oktober setzt Boutros Boutros-Ghali die Reihe der Gespräche fort. Gregor Dotzauer

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