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Humboldt-Universität: Bevölkerungslehren

Gehört hat man es schon von Frank Schirrmacher. Oder von Thilo Sarrazin: Alteuropa siecht dahin, und Deutschland hat zu wenig Kinder, zumindest die falschen. Jetzt kommen auch noch Gunnar Heinsohns Bevölkerungslehren.

Junge Frauen, die noch nicht wussten, welch ungeahnte Produktivkraft in ihnen schlummert, wurden am Dienstag in der Humboldt-Universität aufgeklärt: „Meine Damen“, verbeugte sich Gunnar Heinsohn vor seinen Zuhörerinnen, „der weibliche Körper ist der Ort, aus dem die neue Arbeitskraft kommt.“

Der Soziologe, der im Rahmen der Ringvorlesung „Gewalt, Faszination und Ordnung“ einen globalen demografischen Rundumschlag präsentierte, bezog die sensationelle Einsicht auf die frühe Neuzeit. 1484 unterwarf der Papst das weltliche Leben seiner sogenannten Hexenbulle, die Geburtenkontrolle unter Todesstrafe stellte. So konnte sich die durch Pest und Krieg dezimierte Bevölkerung erholen, bis sie so anschwoll, dass die in der Heimat perspektivlosen „Secondones“, die zweit-, dritt- oder viertgeborenen Söhne, aufbrachen auf der Suche nach eigenen Existenzen.

Der Söhne-Überschuss, so war schon in Heinsohns umstrittener Studie „Söhne und Weltmacht“ (2008) zu lesen, war die Voraussetzung für Kolonisierung und Kriege: Noch der Erste Weltkrieg konnte „aus der demografischen Portokasse“ bestückt werden. So stimmt es fast fröhlich, wenn heute aus Mangel an männlichem Nachwuchs unsere mordlüsternen Unruhestifter keine Chance mehr haben; die verbleibenden Jungs erscheinen vielmehr als zu schade, um in Afghanistan oder anderen Kriegszonen verheizt zu werden.

Europa könnte sich also zurücklehnen, wären da nicht die Nationen, deren youth bulges – Ausstülpungen der Geburtenrate – zur Gefahr werden. In vielen muslimischen Ländern, aber auch in Südamerika und Asien, gibt es ausreichend genährte und beschulte überzählige junge Männer, die nach Pfründen suchen. Werden sie kriminell oder schlagen einander den Schädel ein, bleibt das ein Problem des jeweiligen Landes. Ziehen sie aber mit missionarischem Eifer durch die Welt und überziehen andere Regionen mit Terror, müssen wir uns wappnen.

Die Zuhörerschaft weiß nun, dass Geschichte weder von Klassenkämpfen bewegt wird noch von „Immunsystemkämpfen“, wie der von Heinsohn (und vice versa) geschätzte Peter Sloterdijk kürzlich extemporierte, sondern vom Kampf um Geburtenraten: „Die Gebärmütter der Frauen entscheiden über den Krieg.“ Wie häufig bei monokausalen Modellen ist das System plausibel, wenn man in ihm rotiert, nur leider wird auch in Heinsohns „Bevölkerungslehre“ manch Richtiges mit viel Falschem vermengt. Generell darf man einem Denksystem misstrauen, dessen Ausgangspunkt „Gebärmütter“ sind.

Wie viel politische Kränkung sich in Heinsohns Theorie sedimentiert haben mag, lässt sich am Grad seines Zynismus ermessen. Den Gefahren des youth bulge, so Heinsohn, sei nur durch Austrocknung zu begegnen: „Weniger Geld für die demografische Aufrüstung“ aus dem Westen und Selbstdezimierung durch forcierten Bürgerkrieg. Da könnte man auch gleich auf global gesteuerte Zwangssterilisation setzen und bei den kinderreichen Musliminnen in Neukölln beginnen.

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