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Kultur: Humor ist, wenn man trotzdem Reis wirft

Ein Besuch mit zwei Extremfans bei der „Rocky Horror Show“

„Wir haben an alles gedacht.“ Schwerbepackt hasten Steffi und Jana in den Saal des Schillertheaters, der in künstlichen Nebel gehüllt ist. Ihr Ziel ist die vierte Reihe, wo sie ihre Taschen und Plastiktüten auf den Boden plumpsen lassen. Die Freudinnen sind extra aus Hamburg und Neumünster angereist, um zum 41. beziehungsweise 32. Mal die „Rocky Horror Show“ des London Musical Theatre zu sehen. Die Musical-Fans sind die einzigen Freaks in der Freakshow, denn im Gegensatz zu den anderen Zuschauern im Schillertheater sind sie verkleidet: Jana trägt schwarze Lederhosen, eine dicke Perlenkette, ein weißes Netzhemd und schwarze Lederhandschuhe. Ihr Gesicht ist kalkweiß, die Lippen blutrot geschminkt und ihre Augen schwarz umrandet.

„Irgendwann weiß man halt, an welcher Stelle welches Untensil eingesetzt wird“, sagt Steffi, während sie aus ihrer großen Tasche Reis und eine grüne Wasserpistole herauskramt. Mit einer ausladenden Geste schmeißt sie Unmengen von Reis in den Saal, ist aber auch selbst den Reisbombardement der restlichen Zuschauer ausgesetzt und feuert mit der Wasserpistole zielsicher auf eine Nachbarin. Das geschieht genau dann, als das frischverlobte Päarchen Janet und Brad in strömenden Regen auf der Bühne zu Frank`N`Furters unheimlichen Schloss gelangt. Frank ist ein Transvestit, der in Strapsen und Korsett auf der Bühne steht und Brad und Janet zu Lustspielen verführt. Jana und Steffi kennen das „Rocky Horror Show“-Musical in und auswendig, lassen sich zu kleinen Schreien hinreißen und klatschen mit allen anderen im Rhytmus der Rocksongs. Bei den ersten Tönen vom legendären „Time Warp“-Song springen die Mädchen auf, hüpfen nach links, dann wieder nach rechts und stämmen ihre Arme in die Hüften. Das ganze Schillertheater bebt unter dem Bewegungsdrang des frenetischen Publikums. „Das mit dem Time-Warp üben wir aber nochmal“, sagt eine Mutter zu ihrer Tochter und schaut vergleichend zu Jana und Steffi herüber. Denn nicht jeder im Publikum ist so „musicalisch“ in Hochform und schüttelt sein Gesäß so gekonnt wie sie.

Die Freundinnen schaffen es sogar, den Hauptdarsteller Paul Pecorino zu verwirren. Noch bevor er an der vorgesehenen Stelle mit Latex-Gummihandschuhen schnalzen kann, kommen ihm Jana und Steffi damit zuvor. Ein sanft gehauchtes und anerkennendes „I love you two“ des Musicalstars schmeichelt den beiden Fans und lässt sie unter dem weiß geschminkten Gesichtern erröten. Doch keine Zeit für Sentimentalitäten. Die „Rocky Horror Show“ ist ein temporeiches, schrilles, leicht obszönes Vergnügen, das vom Zuschauer schnelle Reaktionsfähigkeit verlangt: Klopapier fliegt, wenn Frank den künstlich geschaffenen Lustboy Rocky aus weißen Bandagen befreit, ein lautes „Uh“ wird jedesmal ausgestoßen, wenn der „Dr. Evrett Scott“ fällt, und beim Song „There is a light“ müssen die obligatorischen Taschenlampen leuchten.Wenn das London Musical Theatre im nächsten Jahr wieder in Berlin gastieren wird, sitzen Steffi und Jana bestimmt wieder in einer der vorderen Reihen, grell geschminkt und zu allem bereit.Claudia Cosmo

Nächster Termin im März 2003, Hot Line: 01803-663624

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