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Kultur: Humor: Rasieren, bitte!

Die E-Mail kursiert seit einigen Tagen. "Wenn die Taliban gewinnen .

Die E-Mail kursiert seit einigen Tagen. "Wenn die Taliban gewinnen ... " steht in der Betreffzeile. In der eigentlichen Nachricht wird der Satz nicht fortgeführt. Statt dessen sind ein paar Bild-Dateien angehängt. Eine zeigt zum Beispiel den amerikanischen Präsidenten Bush als Mullah, eine andere zeigt die Freiheitsstatue in der afghanischen "Burqua"-Vermummung. Oder "Mr. Bean Laden": der Komiker Rowan Atkinson mit Kopftuch. Die Fotomontagen stammen überwiegend von der Internet-Seite "almostaproverb.com". Von dort wurden sie kopiert und massenhaft verbreitet. Auf der privat betriebenen Seite finden sich Dutzende solcher Fotomontagen, Cartoons und kleine Spiele, bei denen man Bin Laden abknallen oder ihn rasieren kann. Sollen wir jetzt "Allahmallachen" (Titanic)?

Wir müssen. Die Enthaltsamkeit, die sich in den ersten Tagen des Schocks automatisch einstellte, drohte in ein generelles Humorverbot umzuschlagen. spätestens, als Peter Scholl-Latour vom "Ende der Spaßgesellschaft" orakelte, war klar: Das könnte in eine ziemlich langbärtigen Diktatur führen. Doch die ersten Witze kamen aus den USA selbst ("American Airlines - Wir fliegen Sie direkt ins Büro"). War es nicht schon immer so, dass der Witz zuerst den Betroffenen selbst als Überlebensmittel diente, wenn die Realität unüberwindbar grausam war? Der jüdische Witz ist wohl das beste Beispiel dafür. Kein Grund also, nur noch lauwarme Vertreterwitze rauszulassen.

Der "ersparte Hemmungsaufwand" aber, den Sigmund Freud beim Witz feststellte, also die befreiende Wirkung - sie bedarf zur Zeit wohl noch der Hilfe durch die elektronischen Medien. Vielleicht auch, weil uns Nachrichten überwiegend auf diesem Weg erreichen. Weil wir jeden Abend neue und wildere Spekulationen präsentiert bekommen, was Terroristen noch alles anstellen könnten. Trinkwasser vergiften in Deutschland? Kein Problem, sagt ein Wissenschaftsmagazin. B- und C-Waffen? Hat praktisch jedes Schwellenland. Ein solcher Angst-Stau braucht Abfuhr.

Verbal allerdings herrscht noch Zurückhaltung. Die Pointen ("Warum verliert Bush gegen bin Laden beim Schach? Er hat seine zwei Türme verloren") sind nicht gerade zum Totlachen. Und kaum jemand traut sich, seinem Gegenüber dabei ins Gesicht zu sehen. So etwas wird in entschuldigenden mimischen Anführungszeichen erzählt, mit gesenkter Stimme. Wohl auch deshalb kommen die meisten Witze über den Krieg in digitalisierter Form oder im Fernsehen.

Bei den hauptberuflichen Scherzkeksen liegt die Latte jetzt erheblich höher. Stefan Raab oder Ingo Appelt - hilflose Pausenclowns im Augenblick. Bleibt nur die einsame Klasse eines Harald Schmidt, der die Rituale der so genannten Kriegsberichterstattung und Panikmache ins Visier nimmt, also genau das aushebelt, was dem Zuschauer zuvor in endlosen "Brennpunkten" eingehämmert wurde. Dann rechnet Schmidt anhand der sauber dargestellten Grafiken aus dem Kriegsgebiet vor, dass ein B-2-Bomber eine Spannweite von 250 Kilometern hat. Sollen wir darüber lachen? Zumindest dürfen wir.

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