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Hundertwasser: Wie die Bremer Kunsthalle in eine neue Ära startet

Ausgerechnet mit einer Hundertwasser-Ausstellung will Christoph Grunenberg seinen Einstand in der Bremer Kunsthalle geben. Ein Verstoß gegen die Etikette. Denn Hundertwasser gehört zu den Aussortierten des Establishments.

Der neue Direktor hatte sein Amt noch nicht angetreten, da war die Empörung schon groß. Ausgerechnet mit einer Hundertwasser-Ausstellung wolle Christoph Grunenberg seinen Einstand in der Bremer Kunsthalle geben, war bekannt geworden, ein echter Verstoß gegen die Etikette des Ausstellungsbetriebs. Denn der Wiener Spiralenmaler, Traumhaus-Architekt und Weltverbesserer, der 2000 auf einer Schiffspassage von Neuseeland nach Europa im Alter von 71 Jahren starb, gehört eigentlich zu den Aussortierten des Establishments. Mit gigantischen Druckauflagen seiner Grafiken, der schnörkeligen Verkunstung noch von Müllverbrennungsanlagen, Getreidesilos und Bahnhöfen hatte er den Ausverkauf des eigenen Werks betrieben, es auf eine Merchandising-Maschine reduziert. Für seriöse kunsthistorische Aufarbeitung schien er damit verloren: Kaufhaus-Kunst wird im Museum peinlich gemieden.

„Gegen den Strich“ ist die Debütausstellung des nun seit November 2011 amtierenden Chefs der Kunsthalle programmatisch überschrieben, eine Losung, die nicht nur für das Werk von Friedensreich Hundertwasser gilt. Für den Wiener Künstler kam die gerade Linie ohnehin nicht infrage: „Ich habe eine unendliche Genugtuung, wenn ich sehe, dass diese Linie, die ich mit meinen Füßen ziehe, um zu gehen, niemals gerade und niemals wirr ist.“ Christoph Grunenberg dagegen muss das konservative Bremer Publikum noch daran gewöhnen, dass er der Leitplanke kanonisierter Klassiker nicht zu folgen gedenkt. Der edle Neorenaissance-Bau in den Wall-Anlagen der Hansestadt wird wohl noch für manches weitere Experiment gut sein.

Mit Hundertwasser, der seine ersten Anregungen von Paul Klee und Egon Schiele bezog, sich nach seinem Umzug nach Paris von Tachisten, Surrealisten und Nouveaux Realistes inspirieren ließ, ist dem neuen Direktor ein Doppelschlag gelungen. Einerseits lockt er mit dem populären Künstler ein größeres Publikum ins Haus, andererseits rehabilitiert er den Verstoßenen – die edelste Übung eines jeden Kunsthistorikers. Gezeigt wird der manische Kringelmaler vor der Hinwendung zur Architektur und der öden Perpetuierung seines Prinzips: in jener zwei Jahrzehnte währenden Phase bis 1970, in der er seine Bildsprache, seine Programmatik entwickelt. Danach gibt es einen radikalen Schnitt. Selbst die biografische Darstellung im Eingangssaal bricht an diesem Punkt ab; mehr erfährt der Besucher über den Unermüdlichen nicht.

Diese Rigorosität sichert die Ausstellung gegen jeden Kitschverdacht ab. In dieser frühen Zeit befindet sich Hundertwasser auf der Höhe der Avantgarde, was kaum noch jemand weiß. Das Centre Pompidou in Paris, das Louisiana-Museum in Kopenhagen, das Moderna Museet in Stockholm kaufen seine Werke, er wird auf die Documenta und nach Venedig zur Biennale eingeladen. Mit dem Übermaler Arnulf Rainer, mit dem er ein Manifest formuliert, gründet er die Anti-Akademie. Wer Hundertwassers damalige Schriften liest, fühlt sich an die letzte Documenta und deren weltumspannende Ideale erinnert. Er gehört zu den ersten Künstlern, die sich konsumkritisch äußern, ökologische Fragen in ihr Werk aufnehmen, sich ihre Kleidung selber nähen und auf Körnernahrung schwören. Lange vor Beuys denkt er grün und kämpft für Bäume. Dessen Idee, jeder Mensch sei ein Künstler, nimmt er schon 1954 vorweg mit dem Aufruf: „Der Mensch muss selbst schöpferisch sein. Und zwar jeder, nicht nur der ,Künstler’!!!“

Sogar das erste Happening in Deutschland geht auf den Wiener Universalisten zurück. Von Bazon Brock nach Hamburg an die Akademie eingeladen, malt er dort mit Kunststudenten 1951 die „Unendliche Linie“, die über Boden, Wände, Fenster verläuft, bis die Hochschulleitung interveniert. In Bremen wurde die Aktion zur Eröffnung nun wiederholt, im letzten Saal, der prompt zum begehbaren Hundertwasser-Bild wird.

Christoph Grunenberg hat einen glücklichen Griff getan, auch wenn diese Heimholung manchem noch immer wie ein Sakrileg erscheint und der Museumsshop vor Tassen, Kalendern, Karten mit den typischen Motiven geradezu überquillt. Dem neuen Mann in Bremen ist durchaus bewusst, dass sich nicht allzu oft die Gelegenheit ergibt, mit Ausgrabungen für Furore zu sorgen. Doch Direktoren sind auf solche magischen Momente angewiesen, sie bestimmen das Ansehen ihres Hauses. Max Hollein gelang im vergangenen Jahr an der Frankfurter Schirn ein solcher Coup mit dem Berliner Maler Eugen Schönebeck, der sich Mitte der Sechziger dem Kunstbetrieb komplett entzogen hatte. Udo Kittelmann praktiziert das gleiche Prinzip am Hamburger Bahnhof mit seiner Reihe „Secret Universe“, die Künstler aus der Psychiatrie präsentiert. Seine erstaunlichste Wiederentdeckung aber war Bernard Buffet, den viele nur als Clownsmaler kennen, damals noch am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.

Grunenberg, der von 2001 bis 2011 die Tate Liverpool leitete und 2007 Jury-Vorsitzender beim Turner-Preis war, kennt wenig Berührungsängste. Noch feilt er am Programm, wie ein jüngeres, ein multi- ethnisches Publikum in die Kunsthalle zu bewegen ist. Für die Schirn in Frankfurt entwickelte er noch von England aus die Ausstellungen „Shopping“ und „Summer of Love“, die Kunst mit Design, Mode, Musik, Alltagskultur zusammenbrachte. Die Galerie wandelte sich zur psychedelischen Höhle. Bei seinen Forschungen zur Hippie-Kultur stieß Grunenberg übrigens auch auf Hundertwasser, der wie viele Künstler damals mit Drogen experimentierte. Als weiterer Import aus Großbritannien wird an der Schirn demnächst die Ausstellung „Glam“ zu sehen sein, mit David Bowie und Roxy Music als Bezugsfiguren. Nur zu gerne hätte Grunenberg sie nach Bremen gebracht, doch da hatten die Frankfurter schon zugesagt.

Und noch etwas würde der neue Kunsthallen-Chef gerne an sein Haus importieren: den freien Eintritt. Mit einem Schlag würde das Museum in die Mitte der Gesellschaft rücken, ist Grunenberg überzeugt. Doch das ist ein weiter Weg, den deutsche Kulturpolitiker nur ungern betreten – aus Angst vor Verlagerung der Kosten. Und weil sie fürchten, dass der Respekt vor der Institution Museum verloren geht. Grunenberg muss deshalb nach anderen Möglichkeiten suchen: „Mut zur Farbe, zum Spektakel, aber auch leise Töne“, sagt er. Mit Hundertwasser kommt er diesem Ziel ziemlich nahe.

Kunsthalle Bremen, bis 17. Februar; Katalog (Hatje Cantz Verlag) 29 €

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