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Kultur: Hurra, sie leben noch!

Ausstellungshäuser heute haben es schwer, zumal solche ohne eigene Sammlung.Sie müssen ködern, locken, das Publikum ziehen.

Ausstellungshäuser heute haben es schwer, zumal solche ohne eigene Sammlung.Sie müssen ködern, locken, das Publikum ziehen.Das ist ihre Profession.Das Forschen, Sammeln, die wissenschaftliche Erarbeitung können sie getrost, ja sollten sie den Museen überlassen.Aufmerksamkeit im zunehmend von "Events" geprägten Kunstbetrieb sichern sie sich deshalb mit Megaschauen, den Blockbusters.Ausstellungen unter dem Titel "Das Gold von ..." oder "Der Schatz des ..." sind mittlerweile Legion.

Auch die Frankfurter Schirn Kunsthalle arbeitet in diesem Geschäft, ein Kind der Achtziger, als am Main alles nur noch höher, größer, schöner zu werden schien.Während den Museen durch die mittlerweile prekäre Finanzlage der Stadt verziehen ist, hat die Schirn immer noch große Erwartungen zu erfüllen.Wer sie herunterschraubt und offen ist für das Angebot des Gemischtwarenladens, den ein solches Ausstellungshaus nun einmal darstellt, der kann in Frankfurt eine positive Überraschung erleben: "Mumienporträts und ägyptische Grabkunst aus römischer Zeit".Warum nicht?

Das Dunkel, aus dem die altägyptischen Funde auftauchen, ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen.Die auf den gerade DIN-A-4-großen hauchdünnen Holztafeln verewigten Konterfeis wurden Ende des 19.Jahrhunderts zu Tausenden aus Nekropolen im Nordosten des Fayum geborgen, in den Anfängen mehr noch: geraubt.In der Schirn strahlen uns nun diese über 2000 Jahre alten Antlitze von dunkel-samtenen Podesten entgegen, die Saaldecke wie in einer antiken Grabkammer zur goldenen Kuppel gerundet.Doch keine Versammlung der Toten findet hier statt - insgesamt wurden 120 Mumienporträts zusammengetragen -, sondern eine Art Auferstehung.Diese Gesichter schauen den Betrachter mit einer Intensität und Gegenwärtigkeit an, als ob es nur eines geheimen Zeichens bedürfte, damit sie wirklich zum Leben erwachten oder wenigstens die langbewimperten Augenlider einmal niederschlagen würden.Könnte der Ausstellungsbesucher auch noch den lieblichen Geruch des Balsams wahrnehmen, der bis heute den Bildnissen entströmen soll, nun aber unter den gläsernen Vitrinen gefangen bleibt, die Zeitreise wäre beinahe perfekt.Der Schirn ist mit dieser Schau der Dreischritt gelungen: die so dringend als Publikumsmagnet benötigte Sensation, denn nie zuvor waren die Mumienporträts in einer so großen Ausstellung vereint, die den Kunstroutinier wie -neuling ansprechende Präsentation und schließlich in Gestalt des kiloschweren Kataloges eine wissenschaftliche Erarbeitung, die fortan als Handbuch dieses eigentümlichen Forschungsgebiets dienen kann.

Als eigentümlich gilt dieses Terrain schon deshalb, weil es sich auf ganz besondere Weise abgrenzt, eine ganz eigene Gattung bildet, die bis heute die Wissenschaft vor unlösbare Rätsel stellt.Zu welchem Zweck, zu welchem Zeitpunkt - vor oder nach dem Tod der dargestellten Person - wurden diese Bildnisse gemalt? Wer genau sind die Porträtierten? Woher kommt die Sitte, die Verstorbenen als Bild festzuhalten (in ähnlich vollendeter Manier wie bei den Mosaiken und Wandmalereien in Rom und Pompeji), als würden sie aus ihrem Sarkophag wie aus dem Fenster blicken, nachdem zuvor jahrtausendelang die Gesichtsfelder der Mumien mit stilisierten Masken bedeckt waren?

Zumindest letztere Frage läßt sich einigermaßen konkret beantworten.Mit Kleopatras Tod 30 v.Chr.endet die Herrschaft der göttergleich verehrten Pharaonen, die zugleich das Amt des Höchsten Priesters ausübten.Die Folge: Der Ewigkeitsglaube der Ägypter wird erschüttert, mit den Römern halten die abendländische Sichtweise und eine individualisierte Darstellung Einzug.Aus dieser kulturellen Melange entwickelt sich schließlich eine Kombination aus herkömmlicher mumienhafter Bestattung mit meterlangen Binden, die um den Leichnam gewickelt werden, und den individuellen Bildnissen.

Automatisch beginnt sich der Betrachter auch nach der Geschichte der Porträtierten zu fragen.Daß sie an nur drei Stätten zu finden waren, gab zu mancherlei Spekulationen Anlaß.Kurz nach ihrer Entdeckung im 19.Jahrhundert wollte etwa der Ägyptologe und Romancier Georg Ebers in ihnen ptolemäische Pharaonen mitsamt ihren Familien und Höflingen erkannt haben.Heute weiß man, daß sie sehr viel später entstanden; anhand der Haarmode lassen sie sich mittlerweile datieren, ihrer Kleidung nach sogar bestimmten Berufsgruppen zuordnen.Dennoch stimuliert nichts so sehr die Phantasie wie das Geheimnisvolle.So firmiert das Porträt einer jungen Frau aus dem Pariser Louvre aufgrund ihrer hellen Haut unter der Zusatzbezeichnung "Die Europäerin".Das in Enkaustik - der damals gängigen Wachstechnik - gemalte Bildnis zeigt jene übergroßen dunklen Augen, die sich am Betrachter vorbei in die Ferne richten, hier jedoch von einer besonderen Melancholie umspielt.Die mit feinem Pinsel gesetzten Lichtreflexe an Mund, Kinn, Nase und Augenlidern verleihen dieser dunkelhaarigen Schönen eine Gegenwartsnähe, die sogleich Mitgefühl für ihr unbekanntes Schicksal weckt.Im Kontrast zu ihren feinen Gesichtszügen steht jedoch die Roheit der seitlich bearbeiteten Holztafel.Mit wenigen groben Schnitten wurde das Porträt für die Öffnung des Sarkophags eingepaßt.Gemeinsam mit den Porträts haben sich bei den Mumien auch Anhänger mit Reisewünschen für die Fahrt ins Totenreich überliefert."Die Europäerin" hat ihre geheimnisvolle Trauer mitgenommen, angekommen in der Gegenwart.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 11.April, Katalog (Klinckhardt & Biermann, München) 58 Mark.

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