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Ikone des Klimaprotests. Greta Thunberg, 9. Oktober 2020 in Schweden.

© JONATHAN NACKSTRAND/dpa

„I am Greta“ dokumentiert ihren Aufstieg: Wie Greta Thunberg zur weltweiten Erlöser-Figur wurde

Nathan Grossmann begleitete die Aktivistin. Seine Doku „I am Greta“ zeigt, wie die Gesellschaft ihr schlechtes Gewissen an die Jugendliche delegiert.

Zwei Jahre lang, sagt der Regisseur und Kameramann Nathan Grossman, sei er buchstäblich „krumm“ gelaufen, habe sich klein gemacht, um diese irre Zeit, in der aus einem verstockten schwedischen Teenager die Symbolfigur des weltweiten Fridays-for-Future-Protests wurde, aus Gretas Perspektive zu filmen. Wie also sieht sie die Welt?

Grossman dokumentiert in „I am Greta“ den sagenhaften Aufstieg von Greta Thunberg, ständig begleitet von ihrem Vater Svante, dem Unvermeidlichen, und ihrer roten Wasserflasche: vom Parlament in Stockholm in die Konferenzsäle von Kattowitz, Brüssel und New York. Celli unterstreichen ihren märchenhaften Marsch durch die internationale Konferenz-Szene, an die Spitze der Klima-Bewegung, die es ohne sie nicht gegeben hätte.

Grossman wurde früh auf Greta aufmerksam, da schwänzte sie noch ganz alleine freitags vor dem Parlament in Stockholm die Schule. Er freundete sich mit der Familie an und heftete sich einfach an ihre Fersen: in Schlafwagen, Hotelzimmern, auf Konferenzen; sogar auf dem spartanischen Renn-Segler ist er dabei, mit dem sie 2019 zum UN-Klimagipfel über den Atlantik brettert. Auf dem Boot spricht sie ihr Tagebuch in ein Aufnahmegerät, weil ihr beim Schreiben übel wird.

Und wir sehen, wie ein unfrohes Mädchen sich selbst rettet, indem es versucht, die Welt zu retten. Während Fünfzehnjährige ja teils noch Kinder sind, teils schon erwachsen, ist Gretas Coming-of-Age-Geschichte noch überzeichneter: da sie einerseits ganz ungeheuer weit in die Erwachsenenwelt hineinkatapultiert ist, nämlich bis zu Gipfeltreffen und in Parlamentssitzungen, andererseits durch das Asperger-Syndrom aber zu gleich besondere Bedürfnisse hat.

Sie muss dann auch mal schweigend ein Pferd umarmen oder sich bei einem Hund entspannen. Der Regisseur schwelgt in diesen Kontrasten. Da ist Gretas Kinderzimmer mit den vielen Kuscheltieren – und da ist der französische Palast mit Emmanuel Macron. Einerseits bekommen ihre Anliegen zunehmend einen staatstragenden Rahmen, der Wichtigkeit der globalen Krise angemessen, gegen die sie kämpft. Zugleich besteht ihr Vater, schließlich noch immer ihr Erziehungsberechtigter, darauf, dass sie – „jetzt bestimme ich!“ – zumindest mal eine Banane isst.

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Die Kamera spielt Mäuschen. Sie ist immer dabei, versteckt sich aber pseudo-diskret hinter einem Baum, während doch zu hören ist, wie Greta gesteht, dass sie, Liebhaberin der Routinen und der Vorhersehbarkeit, nicht einmal mehr ein Wochenende planen kann in ihrem neuen, öffentlichen Leben. In der Begeisterung über diese exklusive Nähe vergisst der Regisseur, irgendwelche Fragen an seine Protagonistin zu haben. Er zeigt einfach alles. Aber auch das ist schon erhellend.

Da ist Greta, die erzählt, wie sie jahrelang in ihrer Klasse ausgegrenzt und nirgendwo eingeladen wurde. Sie hat offenbar daraus nicht gelernt, sich anzubiedern, sondern dass das Urteil der anderen für sie keine Rolle spielen soll. Ihr Selbstwert hängt nicht von der Bewertung anderer ab.

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Und vielleicht ist sie genau deshalb heute durch Schmeicheleien so wenig zu beeindrucken wie durch Drohungen und Anfeindungen aus dem Netz; kann Greta den Mächtigen unermüdlich die Leviten lesen, weil sie selbst nicht korrumpierbar ist. Großartig zu sehen, wie der Hass aus dem Netz an der ausgelassen gackernden, Stricksocken tragenden Greta einfach abprallt.

[Ab Donnerstag in den Kinos]

Wie seltsam sie sich in diesen Palästen fühle, erzählt Greta: als würden alle nur eine Rolle spielen. Dann gerät sie in Verzweiflung darüber, dass alle eben nur spielen und niemand wirklich etwas verändere. Entgeistert sitzt sie im Plenarsaal in Brüssel und hört Jean-Claude Juncker über wassersparende Klospülungen reden. „Wenn Klospülungen die Lösung wären, wäre es keine Krise“, sagt sie. Politiker, merkt Greta irritiert, versprechen etwas und klopfen ihr für ihre Zurechtweisungen – „How dare you!“ – auf die Schulter. Dann wollen sie ein Selfie mit ihr.

Längst dient Greta als Erlöser-Figur, die an unserer statt die Härten des Verzichts, die wirklichen Einschnitte auf sich nimmt, die dem Rest der Menschheit offenbar nicht abverlangt werden können. Greta leistet unter dem Applaus der Welt die Klima-Buße ab: Sie ruckelt über den Atlantik, lässt sich durchrütteln bis ihr übel wird, als säßen wir nicht alle mit im Boot. Sie hat Heimweh, weint, spricht klare Worte und erduldet Spott.

Später wirkt sie zwischen den hochbezahlten Abgeordneten wie die Super-Delegierte, an die alle anderen ihr schlechtes Gewissen delegieren können: Als würde es für den Moment reichen, Greta für ihre Opfer zu preisen. Dann müssen wir sie vielleicht nicht selbst bringen.

Greta verzweifelt zunehmend daran, dass sie keine Fortschritte sieht. Und noch während sie diesen Widerspruch formuliert, kommt der Regisseur wieder mit seinen Celli um die Ecke: Er schwelgt in den Bildern von den skandierenden Massen der Fridays-for-Future-Bewegung, die sich rund um den Globus formieren.

Unbeirrt erzählt Grossman Gretas Erlebnisse mit seinen filmischen Mitteln als Aufstieg eines ausgegrenzten Schulmädchens zum internationalen Star. Ihren Auftritt vor der UN-Klimakonferenz in New York setzt er als triumphalen Höhepunkt und Happy End seines Films. Aber weder ist es happy noch ein Ende. Greta selbst liegt nichts ferner als ein Gefühl von Triumph. Es heißt, ihr habe der Film gefallen. Und doch beschleicht einen der Gedanke, dass sogar der Regisseur, der sie so lange begleitet hat, den Glanz der Erscheinungen mit dem Erfolg in der Sache verwechselt.

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