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Der Rapper, Produzent und Schauspieler Ice Cube.

© REUTERS/Mario Anzuoni

Ice Cube zum Film "Straight Outta Compton": „Wir brauchen keine Knarren und Kugeln“

Rap-Legende Ice Cube über den Westcoast-Hip-Hop, brutale Cops, eigene Irrtümer und den Film "Straight Outta Compton", der die Geschichte seiner Band N.W.A. erzählt.

Ice Cube, vor fast 30 Jahren haben Sie als Mitglied von N.W.A. den Westcoast-Rap groß gemacht. Jetzt hat der Film über die Band in den USA am ersten Wochenende sogar die „Fantastic Four“ geschlagen. Ist „Straight Outta Compton“ auch eine Art Superheldenstory?
Wir wollten zeigen, dass es jeder von ganz unten nach ganz oben schaffen kann. Wirklich jeder. Man braucht nur Talent, Leidenschaft und vor allem Entschlossenheit. Das Coole an unserer Geschichte ist: Wir waren frustriert, aber wir brauchten keine Knarren und Kugeln. Wir haben es mit Kunst geschafft.

Los Angeles litt in den Achtzigern unter der Crack-Epidemie, blutigen Gangkriegen und einer brutalen Polizei. Wie haben Sie es geschafft, sich da rauszuhalten und kein Dealer zu werden?
Wenn man selber knapp dran ist und alle Kumpels um einen herum Geld haben und sagen: hey, du musst nur das hier verticken, dann kommst du klar, dann ist das nicht leicht. Deswegen kam Hip-Hop genau im richtigen Moment in mein Leben. Das war so positiv und cool, cooler als die Dealer. Die konnten die Platten nur kaufen, aber wussten nicht, wie man das selber macht. Wir konnten das. Deswegen war die Entscheidung nicht schwer. Vor allem, wenn andere Leute wegen irgendwelchem Mist erschossen werden oder in den Knast müssen.

Hip-Hop kam ja von der Ostküste. Aber wie sah die Szene in L.A. damals aus?
Es fing mit DJ-Crews an, die genau wie in der Bronx auf Partys spielten. Daraus wurden immer größere Shows. Das war zum Beispiel Rodger Clayton mit Uncle Jamm’s Army. Später kamen dann Drum Machines und Aufnahmeequipment dazu und es gab die ersten Platten, etwa 1982, 83. Diese Sachen wurden auch im Radio gespielt. 1985 hatten Toddy Tee und Mixmaster Spade den Song „The Batterram“, da ging es um um Polizeirazzien mit Panzern. Die Szene wurde immer größer, und dann kamen N.W.A., und ab da war klar: Das hat Weltniveau.

Man sieht im Film, dass sie für ihren Bandkollegen Eazy-E die Texte geschrieben haben. Gerade läuft im US-Rap eine Diskussion über Ghostwriter.
Wenn man ein echter MC sein will und sich mit anderen battlet und messen will, dann muss man seine eigenen Texte schrieben. So verschafft man sich Respekt. Aber ein Album zu machen ist etwas anderes. Das war immer schon Kommitteearbeit. Der Weg ist egal, Hauptsache, das Ergebnis ist gut. Das ist der Unterschied zwischen MCs und Rappern.

Der Film zeigt sehr schön, wie N.W.A. in kleinen Clubs spielen und quasi am nächsten Tag große Hallen füllen. Wie hat sich das damals angefühlt?
Das war der totale Wahnsinn. Wir hatten so viel Spaß. Auf einmal waren wir auf einer Tour durch die ganzen USA. Das war vorher nur New Yorkern wie Run DMC vorbehalten. Und auf einmal standen wir mit denen auf einer Bühne. Wir waren plötzlich auf einem Level. Und die ganze Welt drehte durch, weil sie von unserer Musik so geschockt waren.

Chuck D hat ja mal gesagt, dass Hip-Hop das CNN des schwarzen Amerika ist. Im Film ist Ihr Motto: Wir sagen nur die Wahrheit. Hatte der Rest des Landes vor Ihrem Album „Straight Outta Compton“ eine Ahnung davon, was in L.A. passiert?
Nicht wirklich. Jeder konnte sich an die riots in Watts erinnern, das war 1965. Aber dem Rest der Stadt ging es doch gut, dachten die Leute wenigstens. Wir haben das andere L.A. gezeigt. Jede glamouröse Stadt hat ja diese dunkle Seite, egal ob Miami oder New York oder Berlin. Wir haben da Scheinwerfer draufgehalten.

Der Film ist an Originalschauplätzen gedreht, und Sie waren bei den Dreharbeiten häufig auf dem Set. Hat sich die Situation verbessert? Oder verschlechtert?
Es hat sich nicht verändert, weil es immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Viele fühlen sich permanent bedroht, weil sie nicht wissen, wie sie Rechnungen zahlen und ihre Familie ernähren sollen, und sind deswegen gereizt. Compton erzeugt manchmal Verbrecher. Irgendwie muss man ja überleben. Die Verbrechensrate ist gesunken, aber nicht die Gangaktivitäten. In den Achtzigern war die Gegend fast komplett schwarz, heute leben dort auch viele Latinos. Deswegen bekriegen sich Braun und Schwarz. Daran wird sich nichts ändern, solange sich die wirtschaftliche Situation nicht ändert.

"Ich hasse doch keine Frauen."

Der Rapper, Produzent und Schauspieler Ice Cube.
Der Rapper, Produzent und Schauspieler Ice Cube.

© REUTERS/Mario Anzuoni

Eine der eindrucksvollsten Szenen zeigt, wie Sie bei einer Aufnahmesession in Torrance ohne Grund von der Polizei schikaniert und bedrängt werden. Einer der Cops ist selbst schwarz. Die Polizei ist rassistisch, aber Schwarze sind selber Teil dieses Systems. Was ist Ihre Meinung dazu?
Als Cop muss man sich beweisen. Du darfst nicht Weiß und Schwarz sehen. Du trägst die blaue Uniform und die anderen nicht, und nur das zählt. Das wird einem als Polizei ja beigebracht: wir gegen die Welt. Als schwarzer Polizist wird man getestet. Ich glaube, dass viele vor ihren weißen Kollegen beweisen müssen, dass es ihnen egal ist, wenn sie jemanden attackieren, der schwarz ist.

Sie haben gesagt, dass „Straight Outta Compton“ auch einige Dinge richtigstellen soll. Was sind denn die Irrtümer und Missverständnisse, die der Gruppe anhängen?
Dass wir Frauen verachtet und gehasst haben. Wenn man die Raptexte wörtlich nimmt, okay, dann kommt man da vielleicht drauf. Aber es gibt Männer, die ich hasse, und es gibt Frauen, die ich hasse. Nur weil ich diesen Stuhl hier hasse, hasse ich doch nicht alle Stühle. Das ist eigentlich lächerlich. Männer und Frauen sind doch gleich.

Aber ein bisschen haben Sie schon damit gespielt. Bei einem Song wie „Givin’ Up the Nappy Dugout“ von Ihrem Soloalbum „Death Certificate“ musste Ihnen klar sein, wie er ankommt, auch wenn er ein Witz ist.
Ey, bei dem Song geht es nur darum, dass ich pussy will. Über was anderes hat Frank Sinatra auch nie gesungen. Deswegen hasse ich doch keine Frauen. Meine Managerin damals, während ich all diese Songs gemacht habe, war eine Frau. Ich habe eine ganze Liste. Ich hasse Arschlöcher, Idioten, Schweine, Opfer und Poser. Aber trotzdem hat mir niemand vorgeworfen, dass ich Männer hasse.

Ein anderer Vorwurf von damals ist Antisemitismus. Sie haben sich von N.W.A. im Streit getrennt, weil Ihr Manager Jerry Heller Sie betrogen hat. Später haben Sie dann den Disstrack „No Vaseline“ gemacht, in dem sie ihn „the Jew that broke up my crew“ nennen.
Diese Zeile bereue ich sehr. Die hat viel kaputt gemacht. Denn eigentlich ging es mir um etwas anderes, aber Jerry konnte das benutzen, um abzulenken. Fakt ist doch: Ich sollte einen Vertrag unterschreiben, ohne dass Anwälte ihn sich ansehen dürfen. Heller hat mich angelogen und sogar Lügen über meine Familie erzählt. Das ist Betrug. Aber er konnte dann behaupten, dass ich Leute ohne Grund hasse, wegen ihrer Religion oder Herkunft. Dabei ging es immer nur um Jerry Heller, egal ob er schwarz oder weiß oder Jude oder Christ ist. Wenn man schwarz ist, sollte man sowieso niemanden hassen, weil man schon selbst von vielen gehasst wird. Und wer sich meinen Zirkel ansieht, der sieht, dass ich keine Juden hasse.

War es schmerzhaft, diese Geschichte für den Film noch einmal aufzurollen?
Klar. Ich wollte N.W.A. ja nicht verlassen, das waren meine Freunde. Aber wenn man jemanden ertappt, wie er sich bereichert, und die Person noch nicht mal „Sorry, kommt nicht wieder vor“ sagt, sondern einfach weitermacht, dann musste man seine eigene Nummer aufziehen.

Sie waren dann solo sehr erfolgreich und hatten in „Boyz n the Hood“ Ihr Debüt als Schauspieler. Im Film werden Sie von Ihrem eigenen Sohn O’Shea Jackson Jr. gespielt. Konnten Sie ihm Tipps geben?
Das hat er alles ganz alleine gemacht. Ich habe ihm nur erzählt, was ich als junger Mann bei meinem ersten Film gedacht habe. Man muss einfach alles ausblenden, was fake ist, um eine reale Szene zu spielen.

Die Perücke im Jheri-Curl-Stil soll ihn aber gestört haben.
Nach einer Weile fand er die okay, glaube ich. Die sei wie sein Cape, hat er mir gesagt, sein Schutzschild.

Das Gespräch führte Fabian Wolff.

Fabian Wolff

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