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Kultur: Ich bin kein Berliner - Die Hauptstadt umwarb ihn. München bekommt ihn.

In Hamburg krönt er seine Intendanz mit der 100. Spielzeit des Deutschen Schauspielhauses.

In Hamburg krönt er seine Intendanz mit der 100. Spielzeit des Deutschen Schauspielhauses.

Frank Baumbauer (54) ist seit 1992 Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. Zuvor leitete er das Theater Basel und war Direktor des Bayerischen Staatsschauspiels. Im vergangenen Sommer übernahm er zudem die Schauspieldirektion der Salzburger Festspiele. Zur Saison 2001/2002 wird er von Hamburg als Intendant an die Münchner Kammerspiele wechseln. Mit Baumbauer sprachen Hellmuth Karasek und Rüdiger Schaper.

Sie sind überhaupt nicht der Prototyp des Theaterintendanten. Sie sind kein Schauspieler, kein Dramaturg, erst recht kein Manager. Was treibt Sie an?

Ich wurde sozusagen in diesen Beruf hineingeführt. Ich hab ihn mir nicht gesucht, sondern er hat mich gesucht. In der Praxis bekam ich im Theater von verschiedenen Seiten Vertrauen aufgepackt, man hat mich um Meinung, Haltung und Hilfe gebeten, und das im verstärkten Maße, und ich konnte das geben. Es ist nicht kokett gemeint: Eine Triebfeder, Intendant zu werden, war die Angst, das eigentlich gar nicht zu können.

Heißt das der Intendant als Seelenarzt?

Das Berufsbild Intendant ist nicht nur eine Sammlung von Eigenschaften und von allem ein bisschen. Es ist so, dass man immer für die bestimmte Situation, an einem bestimmten Ort und für dieses Menschenrudel, das man beschützt und für das man da ist, eine bestimmte Eigenschaft nach vorne kehrt. Ich bildete mir nicht ein, der beste eigene Regisseur zu sein, der beste Dramaturg, der beste Finanzier oder auch noch der beste Psychiater. Doch sicher verstehe ich von all dem etwas, darüber baute sich Vertrauen auf.

So kann man anderen Leuten die Angst nehmen?

Das glaube ich schon. Aber das heißt immer, mit Herzpochen nach vorne zu gehen. Man verliert die Angst ja nicht. Ich habe einen Heidenrespekt vor München. Ich hatte Riesenrespekt vor dem Hamburger Schauspielhaus. Ich liebe das Theater und ich mache nicht anderes als Theater, aber ich hänge nicht an der Nadel. Ich bin nicht verrückt nach Theater. Vielleicht könnte ich sogar auf Theater verzichten.

Sie sind auch nicht das sprichwörtliche Betriebstier. Sie schützen sich vor Routine. Unterscheidet Sie das von Ihren Kollegen?

Ich habe mit jedem ein gutes Verhältnis, ohne mit jedem ein freundschaftliches Verhältnis zu haben. Selbst mit den Dramaturgen Stefanie Carp und Wilfried Schulz, mit denen ich schon seit zwölf Jahren zusammenarbeite, bin ich immer noch per Sie.

Ist ein solches System erfolgsabhängig, verträgt es Pleiten?

Aufrichtig gesagt, das weiß ich noch nicht. Wir hatten in den sechs Hamburger Jahren auch mal Abstürze, aber auch glückhafte Momente. Mittelmaß eigentlich nie.

Gibt es spezielle Hamburger Gründe für Ihren Wechsel nach München?

Der Verschleiß an diesem Haus ist höher als an anderen Häusern. Hier zählt ein Jahr wie ein Hundejahr. Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg ist groß, riesengroß, 1300 Plätze. Ein Teil des Intendantenberufs ist der Unternehmer. Ein solches Riesenhaus empfindlich zu halten und nicht nur eine Produktionsmaschine daraus zu machen, das verbraucht. Es verbraucht den Schauspieler, die Werkstätten, die Dramaturgie, es verbraucht Stücke, es verbraucht alle.

Vor Jahren hat Sie die CSU vom Münchner Residenztheater vertrieben. Sie gehen jetzt an die Münchner Kammerspiele. Ist München eine Heimkehr, eine Wiedergutmachung?

Nein. Das können Sie einfach vergessen. Ich bin jetzt über fünfzig Jahre alt, großzügig und souverän. Was juckt mich diese alte Geschichte?

Hat sich für Sie durch die Berufung von Dieter Dorn ans Bayerische Staatsschauspiel die Lage in München verändert? Nun werden Sie Dorns Nachfolger, und er wird Ihr Nachbar?

Die wesentliche Veränderung wird wohl sein, dass einige Kammerspieler ihrem Regisseur ins Residenztheater folgen werden. Das kann ich gut nachvollziehen. So wird es also deutlich ein neues Ensemble an beiden Theatern geben.

Was ist die schwierigere Aufgabe - das Residenztheater oder die Kammerspiele?

Jedes der Theater hat eigene Vorteile und eigene Schwierigkeiten.

Werden München und Berlin um den Rang der deutschen Theater-Hauptstadt streiten?

Nicht die Größe einer Stadt oder ein Regierungssitz bestimmen die Qualität der Theater, sondern allein die Künstler. Und da wird München auch weiterhin eine Hauptrolle spielen. Ich jedenfalls wünsche mir eine starke Champions-League mit vielen deutschen Theatermetropolen und München als Abonnent für den Titel. Schon bin ich patriotisch, nicht wahr?

Sie hatten auch ein Angebot, das Deutsche Theater in Berlin zu übernehmen. Warum haben Sie München den Vorzug gegeben?

Die ersten Gespräche gab es vorletztes Jahr im Dezember in München und in Berlin, und danach war das Telefon wieder still für zwei Monate. Ich habe hier eine ganz klare Hamburger Entscheidung getroffen, aufzuhören, und nicht mit Blick auf irgendeine andere Tätigkeit. Mir war aber auch klar: Wenn ich noch einmal eine Intendanz übernehme, dann muss es ein Theater sein, das eine andere Dramaturgie, einen anderen Spielplan ermöglicht als das Deutsche Schauspielhaus. Ich meine Schauspielertheater, ein anderes Theater. Also Münchner Kammerspiele, Deutsches Theater Berlin, Akademietheater Wien, ohne Burgtheater, Züricher Schauspielhaus ... wunderschöne Theater.

Sie hatten nach den Erfahrungen mit dem größten deutschen Theater mit 1300 Plätzen Sehnsucht nach dem psychologischen Kammerspiel und Intimität, wie sie die Münchner Kammerspiele bieten. Haben Sie dabei auch München den Vorzug vor Berlin gegeben?

Berlin ist eine Wahnsinnsstadt, da ist Aufbruch, es herrscht Goldgräberstimmung, jeder steckt seinen Claim ab. Und wenn ein anderer drauftritt, wird er sofort erschossen. Jeder will das Spannendste und Beste und Größte, da ist eine Aggressivität. Ich habe mir das alles positiv gedacht, und dann dachte ich auch, nee, das bist du nicht, Frank Baumbauer. Du bist so lässig nicht. Das tropft nicht an dir ab. Du hast keine Lust auf die Konkurrenz in einem Hyper-Feuilleton mit Herrn Peymann, Herrn Castorf und Herrn Ostermeier. Deine Instrumente, die du dem Theater und den Menschen zur Verfügung stellen kannst, sind andere. Die kommen aus meiner Ruhe und meinem Abwägen, aus Vorsicht und Zweifel.

Sie trauten sich Berlin und das Deutsche Theater nicht zu?

Doch, ich wusste schon, das erfordert eine Arbeit, die ich kann. Nämlich dieses Theater zu nehmen, hochzuheben, zu schütteln, zu wenden, ein Fundament zu bauen, Drainagen zu legen, damit viele Dinge abfließen können, Sauerstoff hineinzugeben, Dinge in Frage zu stellen, die nicht mehr überdacht sind, weil sie so sind, wie sie immer waren. Aber es hätte bedeutet, dass ich erst einmal eine Leistung bringen muss, die keine künstlerische ist.

Ist das eine erste Alterserscheinung, wenn man sagt: So etwas will ich nicht noch einmal?

Nein. Ich muss mir doch nicht etwas beweisen, was ich schon mal gemacht habe.

Ist das in München anders?

Ich glaube ja. Ich möchte nicht zwei Jahre lang nur als Maurer an der Aufbauarbeit beteiligt sein, sondern vom ersten Tag an in die künstlerische Arbeit eintauchen. Diese Voraussetzung ist an den Münchner Kam

Muss man nicht auch die Münchner Kammerspiele ein bisschen hochheben und durchschütteln?

Mein größtes Problem, mich für München zu entscheiden, war eigentlich, dass ich Münchner bin, dass ich da aufgewachsen bin und gelebt und studiert und gearbeitet habe. Dass ich also denke - das kenne ich. Dass ich denke, da hat sich nichts verändert. Dann wird man möglicherweise leichtfertig und übersieht, dass die da inzwischen eine Stufe eingebaut haben, und dann liegt man sofort auf der Schnauze.

Sie haben Berlin sehr plastisch beschrieben.

Ich habe es persönlich beschrieben, ich habe gesagt: Ich bin kein Berliner.

Wie beschreiben Sie München?

Ich war sowas von glücklich, dass ich hier in Hamburg arbeiten durfte und aus diesen Besitzansprüchen herauskam, diesem Intoleranten. In Österreich ist es noch extremer, in München ist es heftig. Je weiter man in den Norden kommt, desto befreiender wird es. Im Süden ist die Kultur ein Lebensmittel, sie gehört zum täglichen Bedarf, da gibt es dieses umarmende, fesselnde "Du". Da kann die Zuneigung ebenso schnell in Aggression umschlagen. Diese Stiernacken, diese geröteten Bierwangen, das habe ich nicht mehr ausgehalten. Andererseits haben wir in Hamburg oft gedacht: Warum regen die sich nicht auf? Ein bisschen emotionaler könnten die hier schon sein. Wir sind auch in der Nordsee verebbt. Da kam kein Echo zurück - weil es keine Berge gibt, so formulierte es Christoph Marthaler treffend.

Warum dann nicht doch Berlin?

Meine Mutter, die damals als Agentin Ufa-Schauspieler betreute, hatte in den fünfziger Jahren eine Wohnung in Berlin, da habe ich als Piefke teilweise gelebt. Ich kannte ja auch Hamburg aus dieser Zeit, wir besuchten Ingrid Andree und Hanns Lothar. Es geht mir weniger um die Stadt selbst, es hat alles mit Beruf und Arbeit zu tun. Vielleicht macht es mir Spaß, von einer Position in Deutschland aus Theater zu machen, die nicht Berlin heißt.

Es gibt einen Humus, wo man hingehört?

Es hat etwas damit zu tun, dass ich Angst habe, es mir zu einfach zu machen. Und deswegen war diese Münchner Entscheidung auch eine schwere Entscheidung. Ich möchte es mir manchmal komplizierter machen. Es ist ja auch eine Lebensentscheidung - du verbringst die nächsten fünf, sechs, sieben oder acht Jahre in einer Stadt, und dann bist du soundso alt, und du willst ja nicht nur auf ein Leben voller Intendanzen zurückblicken, sondern auch auf ein bisschen Abenteuer. Ich bin ja privilegiert, dass ich mir aussuchen darf, in welcher Region ich lebe. Mit den verrückten Schauspielern, den Vogels und Flickenschildts, die in die Agentur meiner Mutter kamen, als ich klein war, wollte ich eigentlich nie etwas zu tun haben. Ich wollte nicht in diesen Beruf.

Wie bitte?

Nein, wirklich nicht. Ich bin JungfrauMensch und habe leider auch einen Teil jener Eigenschaften dieses Sternzeichens, Genauigkeit, Pedanterie, all diese Dinge. Nein, ich wollte auf die Hotelfachschule gehen, wollte mich unabhängig machen und meiner Mutter nicht auf der Tasche liegen. Und dann habe ich in den Ferien mal gejobbt am Theater im Sommer, ja, und dann blubberte ich so rein. Einmal habe ich mich mit meiner Mutter so verkracht, dass ich ausgezogen bin, und dann hörte ich, dass in Düsseldorf ein Regieassistent gesucht wurde, und ich fuhr hin. 1970 ging ich nach München zurück, als Regieassistent, und dreizehn Jahre später war ich Intendant. Natürlich gab es Verbindungen und Freundschaften, wenn es hieß, das ist der Sohn von der Baumbauer ...

der wohl bedeutendsten deutschen Schauspieleragentin. Einen Vater gab es nicht?

Meine Mutter hat die Väter immer nur zur Zeugung gebraucht und dann wieder rausgeschmissen.

Eine überstarke Frau?

Eine starke Frau, durch ihren Beruf. Der sie auch noch mit Achtzig total ausfüllt. Eine Familiensituation ist dabei niemals entstanden. Ich habe es nicht vermisst. Ich war alleine, und jemand war da, der den Haushalt machte. Und meine Mutter kam ab und zu aus Berlin, hat sich angehört, was wir angestellt hatten, es gab eine Tracht Prügel, und dann waren wir wieder alleine.

Sie haben gesagt, dass Sie die Leute am Theater siezen. Und dass Sie an Distanz gewöhnt sind, von klein auf. Das Theater ist also keine Ersatzfamilie?

Gar nicht. Die Distanz in der Erziehung führte auch in eine schnellere Selbständigkeit. Ich möchte niemanden belasten, ganz simpel.

Und Sie wollten wirklich nie ein erfolgreicher Regisseur werden und selbst am Premierenabend auf der Bühne stehen und mit Beifall gefeiert werden?

Ich spiele das gern aus der zweiten Reihe. Ich spiele die anderen gern nach vorn. Es ist ja nicht so, dass ich mich bescheiden zurückziehe. Ich weiß, dass ich die Strippen in der Hand halte. Es geht mir dabei richtig gut.

Sie sind überhaupt nicht der Prototyp des The

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