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Kultur: Ich bin so frei

Das Estnische Stundentenorchester präsentiert heiße heimische Ware

Ein bisschen verkniffen schaut die Büste Schostakowitschs von einer Ecke des Rangs auf die Bühne des Konzerthauses, wo das Symphonieorchester der Estnischen Musikakademie Platz genommen hat: „Kann das gut gehen“, scheint sich der Meister zu denken, „eine ganze Programmhälfte estnische Musik und nach der Pause auch noch meine neunte Sinfonie?“ Was die estnischen Komponisten betrifft, kann er sich nicht beklagen: Die „Ouvertüre Nr. 2“ von Veljo Tormis aus dem Jahre 1959 besticht durch ihren freien Umgang mit der symphonischen Tradition der Romantik. Mit einem filmmusikalischen Verständins von Spannung und Effekt zieht er das Publikum in den Bann.

Nicht minder spannend ist die Uraufführung von „Amber“ (2002) des anwesenden Komponisten Toivo Tulev. Die Auftragskomposition der stnischen Musikakademie bringt den musikalisch komplizierten, aber in seiner Wirkung fesselnden Beweis, dass es eine lebendige estnische Kompositionsweise gibt, die zu hören Spaß macht.

Dass estnische Musik seit jeher auch ein Ringen um kulturelle Identität gegenüber politischer Fremdherrschaft bedeutet hat, wird in Eduard Tubins „Concertino für Klavier und Orchester“ deutlich. Auf der Flucht vor den deutschen Besatzern und der vorrückenden Roten Armee besinnt sich der Komponist 1944/45 im schwedischen Exil auf die Volksliedtraditionen seines Landes. Und Mati Mikalai versteht es, sowohl die alten Weisen als auch die neuen jazzartigen Klänge des Stückes pianistisch zum Ereignis zu machen.

Doch so erfolgreich die Präsentation der eigenen Komponisten verlaufen ist, so problematisch wird die Aufführung der Neunten Sinfonie des Russen: Die Holzbläser sind den Anforderungen des Stückes nicht ganz gewachsen und dem Blech geht im längeren Fortissimo die Puste aus. Allein die Streicher sind die sichere Bank des Dirigenten. Arvo Volmer hat das Tutti zwar fest im Griff, doch für den letzten musikalischen Kick hätte es mehr Risikos bedurft.

Angesichts der Bravos scheint sich am Ende aber doch ein Lächeln um Schostakowitschs Mundwinkel abzuzeichnen. „Siehst du, Hanns“ raunt er seinem Nachbarn Eisler zu, „die Leute fangen an, unser Jahrhundert zu lieben. Nur bei meinen Werken müssen sie noch üben.“ Joscha Schaback

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