zum Hauptinhalt

Kultur: Ich, der Führer

Ein kleiner harmlos blickender Mann steht auf der nahezu leeren Bühne. Sein schwarzes Haar ist gescheitelt, fahrig legt er die Hände immer wieder glättend darauf, ein unbewusster Tick.

Ein kleiner harmlos blickender Mann steht auf der nahezu leeren Bühne. Sein schwarzes Haar ist gescheitelt, fahrig legt er die Hände immer wieder glättend darauf, ein unbewusster Tick. Er trägt eine Uniform mit Armbinde, einen lächerlich kleinen Schnäuzer, steht vor einem blutroten Banner mit Hakenkreuz: Hitler. Er setzt zu einem Monolog an, seinem letzten, später wird er sich die Kugel geben. „Setzt euch gerade hin, stolz“, hebt er an. „Wir wissen, wer der wirkliche Feind ist. Es ist der Jude.“ Er bellt diesen Satz heraus. Das Gesicht hassverzehrt. Flutlicht malt seinen riesigen Schatten auf die Flagge im Hintergrund.

Seit vier Jahren reist der Brite Pip Utton als Hitler erfolgreich durch England, weckt die Verführbarkeit seines Publikums zum Rassismus und damit emotionsgeladene Abwehrmechanismen bei denen, die ihm auf den Leim gehen. Utton sucht diese Auseinandersetzung. Um Deutschland hat er bislang einen großen Bogen gemacht – aus Angst vor Neonazis. Jetzt hat er es doch gewagt.

Den gesamten ersten Teil des Abends bestreitet er mit Originalzitaten aus „Mein Kampf“ und Hitlers „Tischgesprächen“. Utton alias „Adolf“ – so der Titel des Stücks – ahmt Hitlers Gesten nach, benutzt seine Rhetorik, lässt dessen Propaganda auferstehen, redet über die Verführbarkeit der Massen, frönt seiner bastardisierten Darwinismus-Ideologie. Sein scheinheiliger Monolog transportiert die perverse Herrenmenschenlogik sehr überzeugend. So überzeugend, dass mancher im Publikum ihm in die Falle geht - und begeistert ist: Applaus für Hitler.

Doch es folgt die Enttäuschung: Der Schauspieler reißt sich die Perücke vom Kopf, zieht den Schnäuzer ab. Den zweiten Teil seines Crashkurses beginnt Pip Utton mit vertraulichem Smalltalk, er erbittet eine Zigarette, holt sich ein Bier. Der Schauspieler verwandelt sich in einen witzigen Plauderer, scherzt, fraternisiert, weckt Vertrauen, Sympathie. Warum nicht darüber lachen, dass er die Perücke aus Asiatenhaar ja noch toleriert, aber der Schnäuzer? Darf nur aus britischem Schamhaar sein. Der Rassismus kehrt als witziges Geschwätz zurück, bis die Aggression gegen alles Fremde, Andere plötzlich unverholen im Raum steht: „Ihr Illegalen, Alleinerziehenden, Zigeuner, Homosexuellen: Gebt uns unser Land zurück.“ Und das letzte Wort erhält der Rassismus selbst: „Lasst mich herein! Ich übernehme den Rest.“ Gabriele Blome

Vom 24. bis 30. Juni in der Akademie der Künste (in englischer Sprache), 20 Uhr.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false