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Kultur: Ich ist eine andere

Schule des Lebens: Almodóvars „Mala educación“

Es gibt Filme – und Regisseure –, da steht man ziemlich allein neben der allgemeinen Begeisterung. Ein selbsterklärter cineastischer Outcast. Pedro Almodóvar nicht gut zu finden, ist wie eine Selbstentmündigung. Irgend etwas musst du übersehen haben. Beim nächsten Mal wird das anders. Die Almodovaristen strenger Observanz mögen an dieser Stelle aufhören zu lesen. Die Begeisterung ist ein viel zu seltenes Gut, um sie sich von übellaunigen Menschen verderben zu lassen. Das Folgende ist nur für Anhänger der Frageform: Ist Gott wirklich Gott?, Kamera-Epiphanien eingeschlossen – sowie die Möglichkeit, dass Gott am Ende immer noch Gott sein könnte.

Das nächste Mal heißt also „La mala educación“. Der neue ganz besondere Ausnahmefilm des spanischen Ausnahmeregisseurs Pedro Almodóvar, sagen die Kenner. „Der Spiegel“ findet den Regisseur gar nach seinen wüsten, schrillen Anfängen zum Meister des Melodrams gereift. Das hätte er nicht sagen dürfen.

Ein Pedro-Almodovar-Film zählt insofern zu den höheren Kulturgütern, als er eine Rückblende an die andere reiht. Rückblenden gelten als schwierig. Sie erfordern vom Zuschauer eine erhöhte Orientierungsleistung. „La mala educación“ spielt 1964, 1977 und 1980. 1964 sind die beiden Klosterschüler Ignacio und Enrique ganz jung, 1977 sind sie ein wenig älter und 1980 irgendwie uralt – seelisch gesehen. Die besondere Gemeinheit liegt darin, dass Almodóvar sich weigert, mit seiner Geschichte in der Gegenwart anzukommen, was immerhin einen Anhaltspunkt bieten würde. In Pedro-Almodóvar-Filmen ist keiner er selber. Aber wer ist das schon? Um das noch besser zu verdeutlichen, spielen in Almodóvar-Filmen auffällig viele Transvestiten mit. Transvestiten sind nur insofern sie selbst, als sie nicht sie selbst sind. Und auch dann sind sie jemand anderes. Das zeigt ihre Modernität und erklärt die Neigung der Transvestiten zum Unglücklichsein.

Für all das steht beispielhaft Ignacio (fast perfektes Mann-Frau-Vexierbild: Gael García Bernal), der seinem früheren Mit-Klosterschüler Enrique (Fele Martinéz) wiederbegegnet, der inzwischen Regisseur ist. Nein, ganz falsch: Nachdem Enrique scheinbar Ignacio wiederbegegnet, findet er dessen Spur. Und seine eigene. Und die des pädophilen Paters Manolo, dessen Unstern über beider Kindheit lag. Aber wer glaubt, dass ein pädophiler Priester bei Almodóvar ein böser pädophiler Priester ist, hat keine Ahnung. Und man muss blind sein, um nicht zu sehen, wie dieser Regisseur seine Groß-Motive bis ins kleinste Detail verwebt. Mit dieser Manie, ohne die nichts Großes entsteht. Schon gar nicht im Kino. Nur: Warum lässt es einen dennoch so kalt?

Auch in „La mala educación“ scheint es trotz der vielen Ebenen nur eine einzige zu geben. Alles ist ganz undurchsichtig durchsichtig. Als ob man eines jener Päckchen auspacken wird, in denen immer noch ein anderes steckt, und irgendwann hast du keine Lust mehr. Und war nicht auch in „Alles über meine Mutter“ viel zu früh klar, dass der Transvestit nicht nur der Vater des toten Sohnes der älteren Mutter, sondern auch der Vater des HIV-positiven Kindes der dann genauso toten Nonne ... egal.

Hätte „Der Spiegel“ gesagt: Almodóvar ist der Meister des Schachtel-Trashs mit tieferer Bedeutung, alles wäre in Ordnung gewesen. Trash ist gar nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Vieles am modernen Leben ist Trash statt Tragödie. Es kommt nur darauf an, das eine vom anderen zu unterscheiden.

In Berlin in den Kinos Delphi, Hackesche Höfe, International; Kulturbrauerei, Neues Off (OmU) und Yorck

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